Buchcover Klischees im Reich der Inquit-Formeln
Nina Restemeier über Das Lied der Dunkelheit und Das Flüstern der Nacht von Peter V. Brett, aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Ingrid Herrmann-Nytko

Sie steigen aus den Seiten auf, Zeile um Zeile, und nehmen unterschiedlichste Gestalt an, um den Lesern das Leben schwer zu machen: die Inquit-Formeln. In  den ersten beiden Romanen von Peter V. Bretts Dämonensaga[*], Das Lied der Dunkelheit und Das Flüstern der Nacht, wird nicht einfach etwas ‚gesagt‘ oder ‚gefragt‘, vielmehr entsteht der Eindruck, dass sich Autor und Übersetzerin mit ihrem schier unendlichen Repertoire an Synonymen für „sagte er“ gegenseitig übertreffen wollen. Und auch wenn Peter V. Brett nicht nur das schlichte ‚he said‘ benutzt, wie es in englischsprachigen Romanen durchaus gängig ist, geht der Sieg in diesem unausgesprochenen Wettstreit eindeutig an die Übersetzerin Ingrid Herrmann-Nytko. Man schreit, ruft, flucht, nuschelt, keucht oder knurrt, zischt, murmelt, seufzt und brummt, man grummelt oder säuselt. Man sinniert, staunt, wundert und erkundigt sich oder will etwas wissen und daraufhin wird erklärt, erläutert, versichert oder bestätigt. Man beschwert sich, fällt einander ins Wort oder schneidet sich selbiges ab, entgegnet und erwidert etwas, um anschließend etwas zuzugeben, einzuräumen oder dem Gesprächspartner zuzustimmen und beizupflichten.

Zweifellos ermüdet es, in einem Text immer wieder die gleichen Wendungen lesen zu müssen, doch diese geradezu krampfhafte Suche nach Synonymen wirkt auf Dauer ähnlich anstrengend. Nicht ganz so gehäuft, aber einem in dieser Hinsicht sensiblen Leser dennoch ins Auge fallend, gesellen sich passive wie aktive Partizipialkonstruktionen hinzu und auch zahlreiche Infinitivformulierungen beginnen, die Lesernerven zu strapazieren. Doch hier handelt es sich um Unterhaltungsliteratur, und wahrscheinlich erwartet kein Leser dieses Genres eine brillant geschliffene Sprache und besonders raffinierte Formulierungen, sondern vor allem eine actionreiche Handlung und den obligatorischen Kampf zwischen Gut und Böse.

Letzteres versetzt die Menschen in Gestalt von Dämonen seit Jahrhunderten in Angst und Schrecken. Die Corelings, so ihr Name im Original, leben im Erdinneren (auf Englisch core), von wo aus sie Nacht für Nacht zur Erdoberfläche aufsteigen. Ihr Name steht also in einer direkten Verbindung zu ihrem Herkunftsort. In der deutschen Übersetzung ist der Bezug längst nicht so eindeutig. Hier werden die Dämonen Horclinge genannt, und ihre Heimat, der Horc, lässt allenfalls an Orkus denken und stellt auf diesem Umweg eine Verbindung zur Unterwelt der römischen Mythologie her.

Mit der Herrschaft der Dämonen wurde die Menschheit in mittelalterliche Verhältnisse zurückgeworfen, alle Errungenschaften des jahrtausendelangen Zeitalters der Wissenschaft gingen verloren, so dass ein Kampf gegen die Dämonen nicht möglich ist. Sie lassen sich lediglich mit Bannzirkeln aus magischen Schriftzeichen, so genannten Siegeln, fernhalten. Doch wehe, eines der Siegel versagt, dann ist das Gemetzel groß und die Überlebenschance klein. Und so verharrt die Menschheit in passiver Starre und wartet auf die Rückkehr des Erlösers, jenes sagenumwobenen Anführers, der schon einmal vom Schöpfer geschickt wurde und die Dämonen besiegte.

Doch plötzlich gibt es zwei potentielle Erlöser und die Art, wie diese beiden Gegenspieler die Menschen zum Kampf gegen die Dämonen vereinen wollen, könnte unterschiedlicher nicht sein: Arlen hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, den Horclingen nicht kampflos das Feld zu überlassen. Er ist im Besitz antiker Kampfsiegel, mit denen man Dämonen töten kann und die seinen ganzen Körper bedecken. Bekannt als „der tätowierte Mann“, zieht er von Ort zu Ort, um alle Menschen dazu anzuleiten, sich zu wehren anstatt sich ängstlich hinter Bannzirkeln zu verschanzen. Jardir vom kriegerischen Volk der Krasianer hingegen, der sich selbst als der Erlöser präsentiert, zieht mit seinem Heer aus, um die „freien Städte“ zu unterwerfen und ihre Männer zu Sklaven seiner Armee im Krieg gegen die Dämonen zu machen.

Das Quartett der Hauptfiguren komplettieren Rojer, ein Jongleur und Spielmann, der seiner Fiedel Töne entlocken kann, die die Horclinge entweder besänftigen oder vertreiben, und Leesha, eine Kräutersammlerin, die neben ihrer außergewöhnlichen Auffassungsgabe auch noch mit unverschämt gutem Aussehen gesegnet ist. Die Ausführlichkeit, mit der Peter V. Brett die Lebensläufe dieser vier Charaktere schildert, lässt bereits die Lösung des Konfliktes erahnen: Vermutlich wird es keiner der vermeintlichen Erlöser allein schaffen, sondern die Talente aller vier werden gefragt sein, um die Dämonen endgültig zu besiegen. Doch am Ende des zweiten Teils der Trilogie stehen sich die beiden Lager vorerst noch ziemlich unversöhnlich gegenüber, was unter anderem an den unvereinbaren Weltbildern der Krasianer und der Bewohner der restlichen Welt liegt.

Und hier schwächelt Brett. Denn um diese Kulturen zu charakterisieren, bemüht er abgedroschene Klischees aus der realen Welt. Fort Krasia zum Beispiel erscheint als das Zerrbild einer unbestimmten arabischen Gesellschaft. Die Stadt liegt weitab in der Wüste und wird von einem äußerst kriegerischen Menschenschlag bevölkert. Die Männer dort ziehen Nacht für Nacht in den „heiligen Krieg“ gegen die Dämonen, und wer im Kampf stirbt, dem ist der Eingang ins Paradies sicher, in dem unzählige Jungfrauen auf ihn warten. Sie tragen Turbane und ihre Hautfarbe ist von „dunklem Kupfer“, ihre Frauen – jeder hat natürlich mehrere – zeigen sich nur voll verschleiert in der Öffentlichkeit, zum Beispiel auf dem Basar, tragen aber unter ihren Schleiern sexy transparente Gewänder und sind ihren Herren jederzeit willig zu Diensten. Exotische Orientromantik à la Tausendundeine Nacht trifft auf aktuelle Vorurteile. Analog dazu predigen die „Fürsorger“ in den „Grünen Ländern“ aus ihrem heiligen Buch, dem „Kanon“, dass die Heimsuchung durch die Horclinge ein Fluch sei, mit dem der „Schöpfer“ die Menschheit belegt habe, weil sie sich während des Zeitalters der Wissenschaft von ihm abgewandt hatte.

Die durchaus originelle Grundidee der Trilogie wird leider getrübt durch diese klischeehafte Charakterisierung der Kulturen wie auch der Figuren – denn obwohl es sich um ‚runde‘ Charaktere handelt, die eine Entwicklung durchlaufen, bleiben sie doch in vielerlei Hinsicht flach. Leesha zum Beispiel ist zu schön, zu intelligent, um glaubwürdig zu sein. Auch Bretts Eigenart, alles ausführlich zu beschreiben, raubt der Geschichte einiges an Spannung. Die vier Hauptfiguren werden jeweils über mehrere hundert Seiten von Kindheit an begleitet. Dazu gesellen sich Dutzende von Nebenfiguren, die mal eine größere und häufig nur eine sehr kleine Rolle spielen und dennoch bis ins Detail beschrieben und charakterisiert werden. Auch die zahlreichen Dialoge verlieren sich häufig in Einzelheiten und Nebensächlichkeiten. Das bremst die Handlung ungemein aus und macht es den Lesern gerade am Anfang schwer, ins Geschehen hineinzufinden. Weniger wäre hier durchaus mehr gewesen. Und wenn schon beim amerikanischen Lektorat versäumt wurde, Überflüssiges zu streichen, so wäre vielleicht eine ‚leicht gekürzte‘ deutsche Übersetzung eine leserfreundlichere Möglichkeit gewesen.

Allerdings nur in der Theorie. In der Praxis ist das Original The Desert Spear im April 2010 und die Übersetzung Das Flüstern der Nacht im August des gleichen Jahres erschienen, ein Zeitraum, der sinnwahrendes Kürzen kaum zulässt, ja offenbar nicht einmal ein gründliches Lektorat, wie die zahlreichen Tipp- und Bezugsfehler im Text vermuten lassen. Durch die kurze Übersetzungszeit lässt sich wahrscheinlich auch erklären, warum sich einige Ungereimtheiten in die Übersetzung eingeschlichen haben. Brett hat eine Welt erschaffen, die unabhängig von realen Orten und Sprachräumen existiert. Die Übersetzung hingegen vermittelt mitunter unangebrachten amerikanischen Lokalkolorit, zum Beispiel, wenn sich das eine oder andere Yard unter die mittelalterlichen Maßeinheiten Zoll und Fuß mischt oder Eltern durchgehend als „Mam“ und „Dad“ bezeichnet werden (im Original übrigens „Mam“ und „Da“). Schade ist auch, dass die reisenden Unterhaltungskünstler, die zwar jonglieren, aber eben auch singen, musizieren und Geschichten erzählen, in der Übersetzung wie im Original „Jongleur“ genannt werden, obwohl doch im Deutschen das wesentlich treffendere Wort ‚Gaukler‘ existiert.

Auch wenn die Dämonensaga kein „Epos vom Weltrang des Herrn der Ringe“ ist, wie der Klappentext suggeriert, wird sicherlich auch der dritte Teil wieder seine Leser finden. Hat man sich einmal durch die 1800 Seiten durchgearbeitet, möchte man schließlich auch wissen, wie es ausgeht.

Peter V. Brett: Das Lied der Dunkelheit, übersetzt von Ingrid Herrmann-Nytko, München: Heyne, 2009, 800 Seiten, 15 €
Ders.: Das Flüstern der Nacht, übersetzt von Ingrid Herrmann-Nytko, München: Heyne, 2010, 1008 Seiten, 16 €

Peter V. Brett: The Painted Man, London: Harper Voyager, 2008, 544 Seiten, 7,99 £
Ders.: The Desert Spear, London: Harper Voyager, 2010, 560 Seiten, 14,99 £

Peter V. Brett, geboren 1973, war nach seinem Englisch- und Kunstgeschichte-Studium zehn Jahre lang Lektor für medizinische Fachliteratur. Seit dem Erfolg seiner Dämonensaga arbeitet er hauptberuflich als Autor. Er lebt mit seiner Familie in Brooklyn, New York.

Ingrid Herrmann-Nytko übersetzte bereits zahlreiche Bücher aus dem Englischen, insbesondere aus den Bereichen Fantasy und Science Fiction.

Nina Restemeier studierte Literaturübersetzen in Düsseldorf. 2005 entdeckte sie ihr Interesse für Literaturkritik und gehörte zu den Gründungsmitgliedern von ReLü.

[*] In einer früheren Version dieses Artikels wurde an dieser Stelle von der Dämonentrilogie gesprochen, Peter V. Brett hat jedoch in der Zwischenzeit angekündigt, dass die Serie auf 5 Teile angelegt sei. Teil 3, Die Flammen der Dämmerung, erschien im März 2013, Teil 4, Der Thron der Finsternis, im September 2015.