Buchcover Verstaubter Goldglanz
Johanna Wais über Das Geheimnis des Goldschmieds von Elia Barceló, aus dem Spanischen übersetzt von Stefanie Gerhold

Ein schönes Büchlein hält man da in der Hand. Schmal, in edler Aufmachung. Die erhabenen Lettern des Titels sind goldfarben unterlegt, es ist ein sinnliches Erlebnis, über das Muster dieses Goldbandes zu streichen. Schlägt man das Buch auf, leuchtet einladend ein warmes Rot.

Nachdem man die Scheu vor dem Kitsch verdrängt hat, beginnt man zu lesen. Und stutzt. Ein Ich-Erzähler möchte sich eine Geschichte erzählen. Doch „Wie? Wie nur, wenn es keinen Anfang gibt…?“ („¿Cómo? ¿Cómo, si no hay principio…?“). Schließlich greift er einen der möglichen Anfänge heraus aus dem Geschehen, das alles andere als linear verläuft. Folgen wir ihm, dann geht die Geschichte so: Der Mann, der seine Vergangenheit nun aufbereiten möchte, indem er sie für sich niederschreibt, verließ als junger Mann sein Heimatdorf Villasanta, weil ihn seine große Liebe, die ältere Celia, zurückwies. Er ging nach Oneira und wurde in der Werkstatt seines Onkels Eloy zum Goldschmied ausgebildet. Nun, ein Vierteljahrhundert später, möchte er den Onkel besuchen. Im Zug verliert er sich in Erinnerungen, beschließt spontan, in Villasanta Halt zu machen, verlässt den Zug, den er 1999 bestiegen hat, und landet im Villasanta der fünfziger Jahre. Dort trifft er die junge Celia und ist für sie „ein Fremder…, ein rätselhafter Mann,…der wie aus dem Nichts aufgetaucht war…, ein schon reiferer Herr, der ihr mit seinen guten Manieren und seinem eleganten Auftreten nach wenigen Tagen den Kopf verdreht hatte.“ („un forastero, un hombre misterioso,…, un extraño salido de ninguna parte…, educado y elegante, ya mayor, que la volvió loca en unos días.”). Hier zeigt sich deutlich, dass die Übersetzerin ihrer Sprache routiniert Eleganz verleiht, indem sie etwa die im Spanischen durch Kommata abgetrennten Attribute „educado y elegante, ya mayor“ in der Übersetzung verbindet.

Der etwas zu akrobatisch konstruierte Plot weckt hohe Erwartungen an die Sprache. Diese ist jedoch einerseits alltäglich, andererseits oft überladen mit abgestandener Liebesmetaphorik und Zeigefingersymbolik. Wäre dieser Roman eine Filmvorlage, wozu er sich hervorragend eignen würde, wäre die kurze Einblendung eines Tattoos mit dem keltischen Rad des Lebens ein Kunstgriff. Beim Lesen aber erscheint ein solches Bild wie in Zeitlupe, der Blick verweilt so lang darauf, dass der Ärger über solche Bevormundung Zeit hat zu wachsen. Eine der schönsten Passagen des Buches über die Fremdheit, die der Erzähler in seinen ewigen „desencuentros“ verspürt, wird im Deutschen lieblos kaputterklärt. „Desencuentros“ ist eines dieser Wörter, die man nicht übersetzen möchte, weil sie vollkommen passen. Stefanie Gerhold hat daraus „Sichverfehlen“ gemacht und damit zumindest das Inhaltliche erfasst, doch leider fehlt dem Deutschen hier im lexikalischen Bereich die Leichtigkeit, die es z.B. in der Syntax ja durchaus hat. Ähnlich verhält es sich mit „magnitud“ und „Bedeutungsschwere“. Vielleicht wäre dies eine Gelegenheit für mehr Leichtigkeit gewesen, wenn man statt des sperrigen Ungetüms „Bedeutungsschwere“ das schlichte, umfassende Wort „Größe“ gewählt hätte. In der Sprache der Übersetzung, wie auch des Originals, wird der Gestus der fünfziger Jahre deutlich, der im Roman vorherrscht und ihm sein Mottenkugelaroma verleiht: Den „altmodischen Duft, wie nach Veilchen, der ihrem Körper entströmte…“ („un olor también antiguo, como a violetas, que enaba de su cuerpo“) nimmt man überdeutlich wahr, und diese muffige Sinnlichkeit mit ihrer schier unerträglichen Süße raubt einem Atem und Leselust gleichermaßen. Wie auf Knopfdruck laufen im Kopf Kinobilder ab: die schöne, reife Spanierin und der junge Verehrer, die Orte, an denen sich die Liebenden begegnen, der samtrote Kinosaal, das hübsche Café Negresco…; aber man möchte eben nicht per Knopfdruck mitleiden oder mitfiebern müssen. Wie kommt es bloß, dass sich diese goldglänzenden Spanienklischees ausgerechnet in dem Roman der in Innsbruck als Hispanistikprofessorin lehrenden Barceló ausbreiten und die Requisiten einer seltsam unbelebten Geschichte bilden? Zudem soll anscheinend die Bedeutung jedes noch so kleinen Schrittes, jeder Geste um jeden Preis verstanden werden. Alles ist vorgekaut, vorverdaut, ein fader Brei für den entmündigten Leser. Kurz blitzt die Frage auf, ob das hier ein besonders schwerer Fall von Nostalgie ist oder ob die beschriebene Zeit in Spanien noch viel präsenter ist als hier, ob in postdikatorischen Zeiten die sentimentale Verklärung besonders gut gedeiht?

Müde und „erschlagen von der Bedeutungsschwere“ („anonando por la magnitud“) dessen, was er gerade gelesen hat, erschlagen auch von Bildern, die ihre Kraft verloren haben „wie welke Blumen“ („como una flor pasada“), wird der Leser schließlich aus dem „ebenso kurzen wie intensiven Buch“ (José Luis Charcán, La Razón) entlassen, froh, in den grauen Alltag zurückkehren zu dürfen, der nun fast wie eine Erlösung wirkt.

Elia Barceló: Das Geheimnis des Goldschmieds, aus dem Spanischen übersetzt von Stefanie Gerhold. München: Piper 2003, 92 Seiten

Elia Barceló: El segreto del orfebre. Barcelona: Lengua de trapo 2003, 93 Seiten

Elia Barceló wurde 1957 bei Alicante geboren und lebt in Innsbruck. Sie ist Professorin für Hispanistik an der dortigen Universität. Sie hat fünf Romane veröffentlicht und erhielt 1993 für El mundo de Yarek den Premio Internacional UPC de novela corta de ciencia ficción. Außerdem erhielt sie 1997 den Premio Edebé de Litertaura Juvenil für eines ihrer Kinderbücher: El caso del artista cruel.

Stefanie Gerhold wurde 1967 in München geboren. Sie übersetzt Literatur aus dem Spanischen, darunter Gustavo Martin Garzo und Manuel Vázquez Montalbán und die Werkausgabe von Max Aub. 1999 erhielt sie den Übersetzerpreis der Spanischen Botschaft in der Kategorie Junge Übersetzer.