von Vera Elisabeth Gerling

Liebe Leserinnen und Leser!

es ist ein Kuriosum der Übersetzungswissenschaft, dass auch auf diesem Gebiet die Rezeption wissenschaftlicher Werke durch ausstehende Übersetzungen erschwert ist – wer nicht auf Englisch schreibt, wird außerhalb des eigenen Sprachraums kaum gelesen. So mag es manchen wundern, wie rege im Nachbarland Frankreich Übersetzungswissenschaft betrieben wird, und zwar auf höchstem Niveau.

Denn wer kennt schon außerhalb des französischsprachigen Raums das Hieronymus-Buch von Valery Larbaud  Sous l’invocation de Saint Jérôme, das bislang nur in Auszügen auf Deutsch vorliegt? Wer befasst sich mit Antoine Bermans Überlegungen zu einer Übersetzungskritik, die den Übersetzer mit seinem Herangehen an das ‚Projekt‘ in den Blick nimmt und dabei die Übersetzungen als eigenständige Werke begreift, die wiederum auf das Original zurückwirken? Dabei analysiert Berman immerhin in seinem berühmten Werk L’épreuve de l’étranger Kultur und Übersetzung zur Zeit der deutschen Romantik! Wer setzt sich auseinander mit Henri Meschonnics auf der Analyse rhythmischer Klänge basierendem übersetzungswissenschaftlichen Ansatz, der nicht nur auf Lyrik anwendbar ist?

Solange diese Werke nicht auf Deutsch vorliegen, kann man sich bei ReLü bereits zu verschiedenen Texten einen ersten Zugang verschaffen. So werden Valery Larbauds moderne theoretische Überlegungen zur Übersetzung, die eng verknüpft sind mit seinem eigenen literarischen Werk, von Vera Elisabeth Gerling unter dem Titel „Wie aus Treue Untreue wird“ vorgestellt. Rolf Pütter hingegen präsentiert uns nicht nur Irène Kuhns deutschsprachige Monographie über Antoine Bermans ‚produktive‘ Übersetzungskritik, sondern er gewährt uns außerdem Einblick in dessen Buch Pour une critique des traductions: John Donne.

In unserer aktuell publizierten Besprechung „Der Archäotraduktosaurus blickt zurück“ rezensiert nun eine ausgewiesene Expertin für französischsprachige Übersetzungswissenschaft – Vera Viehöver von der Universität Lüttich – einen Sammelband mit bislang teils auch auf Französisch nicht leicht zugänglichen Texten von Jean-René Ladmiral. Auch wer das Buch nicht im Original lesen kann, erhält so einen Einblick in das Werk dieses streitbaren französischen Wissenschaftlers, in dessen Reflexionen die übersetzerische Praxis immer Dreh- und Angelpunkt bleibt. Wir haben es hier mit einem Autor zu tun, der sich seit langem im französischsprachigen Raum mit seinem als Standardwerk etablierten Buch Traduire. Théorèmes pour la traduction (1979) einen großen Namen gemacht hat. Noch heute ist dieses Buch auch als Taschenbuch bei Gallimard erhältlich.

Wir wünschen Ihnen und Euch bei diesem Streifzug durch die französischsprachige Translationswissenschaft anregende neue Erkenntnisse. Und wir als ReLü-Redaktion werden uns bemühen, diesen weiterhin zu bereichern – Henri Meschonnic könnte als Thema folgen. On verra.

Au revoir et à très bientôt!

Ihre/Eure ReLü-Redaktion

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