Editorial Ausgabe 13
von Nina Restemeier

Liebe Leserinnen und Leser!

„Ja, was denn nun?“, mag man sich vielleicht beim Lesen der aktuellen Ausgabe von ReLü fragen: Wird hier etwa mit zweierlei Maß gemessen, wenn einerseits gefordert wird, kulturelle und sprachliche Eigenheiten eines Ausgangstextes in der Übersetzung beizubehalten, während genau dies an anderer Stelle der Kritikpunkt ist?

Auf der einen Seite steht die Neuübersetzung von Chinua Achebes Roman Alles zerfällt, die gerade dafür gelobt wird, die kulturellen Merkmale des Originals zu bewahren und die Redensarten aus der afrikanischen Sprache Igbo wörtlich zu übersetzen, anstatt sie mit deutschen Redensarten wiederzugeben. Auf der anderen Seite steht Stefano Bennis neuer Roman Brot und Unwetter, dessen Übersetzung es mitunter etwas zu gut meint mit der Übernahme von Lokalkolorit.

Doch diese Bewertungskriterien stehen nicht unbedingt im Widerspruch zueinander, sondern bestätigen, was eigentlich eine Binsenweisheit ist: Jeder Text besitzt seinen ganz eigenen Anspruch, und ein Übersetzer muss bei jedem Text aufs Neue entscheiden, wie damit umzugehen ist. Und ebenso muss sich jeder Kritiker vor dem Verfassen einer Rezension die Frage stellen, welchen Kriterien er zentrale Bedeutung beimisst. Auch wenn manche Übersetzungsschwierigkeiten nicht optimal gelöst wurden, heißt dies nicht zwangsläufig, dass die ganze Übersetzung nichts taugt – selbst das Gegenteil kann der Fall sein: Einzelne gute Lösungen machen noch lange keine gute Übersetzung. Und manchmal halten sich gelungene und weniger gelungene Übersetzungsentscheidungen einfach die Waage. Die Kritiker stehen also auch immer wieder vor der Frage, wie die verschiedenen Aspekte zu gewichten sind.

Wie vielfältig und komplex der Übersetzungsprozess ist, zeigt auch unsere wieder einmal abwechslungsreiche Mischung aus Literatur- und Übersetzungskritik sowie anderen Texten ‚übers Übersetzen‘: So können Sie in ReLü 13 zum Beispiel erfahren, warum Georg Oswald die Übersetzung von Juan José Arreolas Der Jahrmarkt auf eigenes Risiko anfertigte, bevor er sie einem Verlag anbot, was die persönliche Bibliothek Paul Celans über seine Tätigkeit als Übersetzer verrät oder was das wenig bekannte schriftstellerische Werk Pablo Picassos mit Übersetzen zu tun hat. Nicht zuletzt gibt es ein Wiedersehen mit zwei alten Bekannten: Hatte Ulrich Blumenbach, der Übersetzer u.a. von David Foster Wallace, in den Ausgaben 10 und 11 aus der Schule geplaudert, so wird in dieser Ausgabe seine Übertragung von Wallace‘ Erzählsammlung Alles ist grün unter die Lupe genommen.

Viel Vergnügen bei der Lektüre wünscht Ihnen

Nina Restemeier im Namen der Redaktion

P.S. Einen Like-Button haben wir nicht, aber wenn Ihnen ReLü gefällt, abonnieren Sie unseren Newsletter und empfehlen Sie uns weiter. Außerdem freuen wir uns über Kommentare in unserem Gästebuch und Beiträge von Ihnen. Möchten Sie ein übersetztes Buch oder ein Werk zur Übersetzungswissenschaft rezensieren oder haben Interessantes aus dem Übersetzeralltag zu berichten, dann schreiben Sie uns an!

> zurück zur Übersicht