Buchcover Schwerelosigkeiten
Karolin Viseneber über Joseph & Clara von Régis de Sá Moreira, aus dem Französischen übersetzt von Sonja Finck

„‚Wer bist du?‘, fragte der Mann. ‚Ich bin, der ich bin‘, antwortete der andere.“ Mit diesem Zwiegespräch zwischen Joseph und dem Anderen, der möglicherweise Gott genannt werden könnte, beginnt Régis de Sá Moreiras Roman Joseph & Clara, der 2006 in der Übersetzung von Sonja Finck erschienen ist. Der aufwändig gestaltete Einband, auf dessen dunklem Untergrund florale Muster und verspielte Formen zu sehen sind, lässt keinen Zweifel daran, dass es sich bei dem Text um „Eine Liebesgeschichte“ handelt, so der deutsche Untertitel. Was erwartet jedoch der Leser von einem Buch, dessen Klappentext mit den abgegriffenen Worten „Denn nur mit dem Herzen sieht man gut“ überschrieben ist?

Am Anfang dieser ungewöhnlichen Geschichte steht der Selbstmord des Protagonisten und die Frage der Frau, welche Worte der Verkäufer des Seils, an dessen Ende der Mann hängt, den sie liebt, wohl zu ihm gesagt haben mag, als er ihm das Seil verkaufte. Was bereits auf den ersten Seiten des Romans ein Ende zu nehmen scheint, entfaltet sich zu einer aus wechselnden Perspektiven erzählten Geschichte über zwei Menschen, die an der Endlichkeit des Seins zu verzweifeln drohen. In dieser Liebe, die sich mit dem Leben nicht vereinbaren lässt, nehmen die Abwesenheit und die Einsamkeit einen großen Stellenwert ein: „Ihre Abwesenheit hinterließ unweigerlich ein Loch in seinem Bauch, das nur durch Essen gefüllt werden konnte, das er nur ertrug, wenn er aß. Seltsamerweise nahm er nicht zu. Es war, als ernähre er seine Einsamkeit und nicht seinen Körper.“ So versucht Clara, das Unmögliche möglich zu machen und immer bei Joseph zu sein: „Anfangs gelang es ihr. Wenn sie die Wohnungstür zuzog, war sie noch bei ihm. Sie ging die Treppe hinunter und saß neben ihm in der Küche, sie kam ins Erdgeschoss und schenkte ihm Kaffee ein, sie trat auf die Straße und küsste ihn. Doch dann sprach sie unweigerlich jemand an oder etwas lenkte sie ab, und oben in der Wohnung löste sie sich schon auf.“ Eine Liebe, die zwei Liebende an ihre Grenzen bringt. Darum entscheidet sich Clara eines Tages, Joseph zu verlassen, obwohl oder gerade weil sie ihn liebt. Hier wird nun auch der Bezug zum Klappentext deutlich, wenn Joseph sich fragt, was denn wohl die Blume die ganze Zeit über gemacht habe, nachdem der Prinz sie verließ: „Ein Jahr lang allein auf einem Miniplaneten! Wie kommt sie damit zurecht? Was tut sie? Wartet sie? Leidet sie auch? Bereut sie, verändert sie sich, entwickelt sie sich weiter? Verliert sie nicht völlig den Verstand? Wir wissen es einfach nicht.“ Joseph, der bereits einige gescheiterte Schreibversuche hinter sich hat, beginnt nun damit, die Liebe zu Clara in Worte zu fassen, während er auf sie wartet.

Die skurrilen und liebevoll gestalteten Charaktere bringen Humor und Leichtigkeit in die tragische Handlung. Neben den Hauptfiguren ist da noch Andres, ein Architekt, der für alle zusammen ein Haus entworfen hat, sich nachts alleine am See betrinkt und seinen Bruder aufzuheitern versucht, indem er ihm lustige Dinge aufzählt. Oder dessen Frau Françoise, die für ihr ungeborenes Baby Geschichten über einen gewissen Youk-Youk erfindet; die darunter leidet, dass sie in der Schwangerschaft nicht rauchen und trinken darf, und die sich nicht entscheiden kann, ob ein Muschelgürtel elegant oder geschmacklos ist. Und nicht zuletzt ihr Sohn James, der sich seinen Namen selbst ausgesucht hat und „Schriftsteller wie Joseph“ werden möchte, wenn er groß ist.

Die Gefühle, die in diesem Roman offenkundig werden, können den Leser nur deshalb in ihren Bann ziehen, weil der Autor auf abgestandene Liebesmetaphorik und Klischees verzichtet. Stattdessen ist Joseph & Clara ein Buch leiser Töne, das aus der Distanz eines auktorialen Erzählers die Unmöglichkeit deutlich macht, mit Sprache Wirklichkeit und Gefühle auszudrücken. So entwickeln die Protagonisten eigene Bezeichnungen und zeigen leere Phrasen auf: „- Je te le fais pas dire. – Ben, si, dit Françoise. – Tu viens de me le faire dire.“ / „‚Wem sagst du das.‘ ‚Dir‘, sagte Françoise. ‚Was?‘ ‚Ich habe es dir gesagt.‘“ Diese klare und auf ihr Minimum reduzierte, bisweilen sogar elliptische Sprache, zeigt in einfachen Bildern ihre ganze poetische Kraft: „Les larmes remontées descendirent lentement sur son visage“ / „Die hochgestiegenen Tränen rollten ihr langsam übers Gesicht“. Gleichzeitig zeigen sich im Text viele verschiedene Sprachregister, die von poetisch bis hin zu umgangssprachlich reichen und im deutschen und französischen nicht immer übereinstimmen. Wenn zum Beispiel in dem Zwiegespräch zwischen Joseph und Gott ersterer entrüstet fragt: „Tu te fous de ma gueule?“ – welche Tonart kann man dann im Deutschen wählen? Mit ‚verarschen‘, ‚auf den Arm nehmen‘, ‚veräppeln‘, ‚verhohnepipeln‘ und ‚für dumm verkaufen‘ unter anderen, gibt es eine Vielzahl von deutschen Entsprechungen. Die Übersetzerin entscheidet sich hier für ein unauffälliges, vergleichsweise schwaches „veralbern“. Bereits an einzelnen Wörtern wird somit deutlich, dass das Übersetzen immer ein Prozess des Auswählens und Abwägens ist, was besonders bei einem Text zum Tragen kommt, der durch seine puristische Sprache auffällt. Jedes einzelne Wort und dessen Klang kann das Register des Textes verändern, so wird aus einem „exprès pour l’occasion“ auch mal ein eher ungewöhnliches „eigens“ und ein „Ouaiche, ça vache…“ aus dem Pariser Banlieue wird zu „Alles paletti“.

Die Übersetzerin schafft es auch an besonders schwierigen Stellen, einen eigenen Rhythmus zu finden und das puristische Spracherlebnis des Originals in der Übersetzung möglich zu machen: „Dès le jour où je suis née / J’ai commencé a me marrer / Depuis ça n’a pas changé / Je rigole toute la journée (…)“ „Ich habe heute nicht viel gemacht / Von früh bis spät hab ich gelacht / Bin am Morgen aufgewacht / Und hab als erstes gleich gelacht (…)“. Joseph & Clara ist ein poetisches und minimalistisches Sprachkunstwerk, das in der Übersetzung von Sonja Finck seine ganze Kraft entfaltet.

Régis de Sá Moreira: Joseph & Clara. Eine Liebesgeschichte, aus dem Französischen übersetzt von Sonja Finck, München: Droemer Knaur 2006, 175 Seiten

Régis de Sá Moreira: Zéro tués. Vauvert: Au diable vauvert 2002, 165 Seiten

Régis de Sá Moreira, 1973 geboren, lebt und arbeitet als freiberuflicher Autor in Paris. Joseph & Clara. Eine Liebesgeschichte (2006) ist nach Das geheime Leben der Bücher (2005) sein zweites Buch in deutscher Sprache.

Sonja Finck, Absolventin des Studiengangs Literaturübersetzen, ist seit 2004 freiberufliche Übersetzerin (Englisch/Französisch/Spanisch). 2006 erhielt sie für die Übersetzung des Romans Fever von Leslie Kaplan den renommierten André-Gide-Preis der DVA Stiftung.