Buchcover Die Bekenntnisse eines Liebenden
Nina Restemeier über Die erstaunliche Geschichte des Max Tivoli von Andrew Sean Greer, aus dem Englischen übersetzt von Uda Strätling

San Francisco 1871: „Ah, er ist ein Nisse“ ist Vater Tivolis Assoziation, als er seinen neugeborenen Sohn Max zum ersten Mal sieht, denn der gleicht einem kleinen, verhutzelten Gnom. Die Ärzte sind ratlos, beruhigen die Eltern mit erfundenen und wenig tröstlichen Diagnosen: „Das Kind ist rhinozeroid.“ Doch erst Mary, die ehemalige Hausangestellte der Tivolis, erkennt, was es mit Max‘ Zustand auf sich hat: Er wird jünger. Während sich seine geistige Entwicklung naturgemäß vollzieht, wird sein Körper stetig jünger, bis er schließlich im Alter von siebzig Jahren im Körper eines Babys sterben wird.

Nicht ohne Grund lässt Andrew Sean Greer Die erstaunliche Geschichte des Max Tivoli Ende des neunzehnten Jahrhunderts beginnen, zu einer Zeit, in der jemand wie Max eine Attraktion auf jedem Jahrmarkt hätte darstellen können. Und so könnte man auch den etwas reißerischen deutschen Titel (im Original handelt es sich schließlich einfach um Max‘ „Bekenntnisse“) als eine Anspielung auf das marktschreierische Werben des Betreibers eines Kuriositätenkabinetts verstehen. Ein Leben als Ausstellungsstück bleibt Max glücklicherweise erspart, denn ihm gelingt es, ein relativ unauffälliges Leben zu führen, dank der Regel: „Sei, wofür sie dich halten!“

Das ist nicht immer einfach; besonders, als Max sich in Alice verliebt, die Tochter der Untermieter, fällt es ihm schwer, sich wie der Mittfünfziger zu verhalten, der er dem Äußeren nach ist. Alice wird für Max zur Liebe seines Lebens, und auch als er sie aus den Augen verliert, vergisst er sie nie. Zwanzig Jahre später, nun im Körper eines Mittdreißigers, begegnet er ihr wieder. Diesmal erwidert sie seine Liebe, ohne in ihm den älteren Herrn aus ihrer Kindheit zu erkennen. Doch ihr gemeinsames Glück ist nicht von Dauer, denn er kann ihr das Geheimnis um seine Verjüngung nicht verraten. Erst gegen Ende seines Lebens offenbart sich Max in Form eines Tagebuchs, in dem er für Alice seine Erinnerungen niederschreibt.

„We are each the love of someone’s life“ – dieser erste Satz des Buches ist Max Tivolis Botschaft, um die sich seine ganze Geschichte, sein ganzes Leben dreht. Doch dieser eine Satz beinhaltet nicht nur die entscheidende Aussage des Romans, sondern auch einen augenfälligen Aspekt der Übersetzungsproblematik. Was im Englischen knapp und prägnant auf den Punkt gebracht wird, klingt in der deutschen Übersetzung nicht annähernd so präzise: „Jeder von uns ist die Liebe im Leben eines anderen“. Die wörtliche Entsprechung zu „love of someone’s life“ – „die Liebe jemandes Lebens“ – ist keine mögliche Übertragungsweise, und so geht zwangsläufig die idiomatische Formulierung „Liebe des Lebens“ verloren. „We are each the love of someone’s life“ – durch den regelmäßigen Wechsel betonter und unbetonter Silben bleibt der Satz im Gedächtnis, die Wiederholung am Ende des ersten Absatzes unterstreicht die zentrale Bedeutung: „So I will get to the end first and tell you we are each the love of someone’s life“. In der Übersetzung verliert er auch daher an Einprägsamkeit, weil er zwar inhaltlich korrekt, aber nicht formal identisch wiederholt wird: „Deshalb lass mich gleich mit dem Schluss beginnen und dir sagen, dass jeder von uns die Liebe im Leben eines anderen ist.“ Zudem erscheint durch die Entscheidung, mit „jeder“ anstatt mit „wir“ zu beginnen, der Ich-Erzähler weniger präsent als im Original. Eine mögliche Übersetzung, die sowohl dieses Problem umgeht als auch dem Satz einen Rhythmus zurückgibt, wäre: „Wir alle sind die Liebe im Leben eines anderen.“

Auch im weiteren Verlauf stellt sich das Buch als nicht einfach zu übersetzen heraus: Greer wählt für seinen Roman eine außerordentlich komplexe Sprache, die an den Duktus des neunzehnten Jahrhunderts erinnern soll. Der Übersetzerin Uda Strätling gelingt es überwiegend, dieses Flair in Syntax und Wortwahl einzufangen, so zum Beispiel mit der wunderbar antiquierten Formulierung „Alice! Ich kannte ihren Namen, und gleich war sie mir zweimal so teuer als zuvor.“

Dennoch zeigt die Übersetzung mitunter einige Schwächen. Die meisten davon dürften ohne den direkten Vergleich mit dem Original kaum auffallen, andere jedoch führen zu gravierenden inhaltlichen Veränderungen oder sogar Widersprüchen innerhalb des Textes. Als sich Alice in Max‘ besten Freund Hughie verliebt, soll der ihr das Herz brechen, damit Max sie trösten kann. Der Plan geht auf. In Tränen aufgelöst kommt Alice zu Max und erzählt vom Gespräch mit Hughie: „He was a monster, a monster, he said…“ In der Übersetzung ist es Hughie selbst, der sich für ein Monster hält, nicht Alice: „Er sei ein Ungeheuer, sagt er, ein Ungeheuer…” Selbst in der Absicht, ihr das Herz zu brechen, wäre das eine äußerst drastische Selbsteinschätzung. Ein anderes Mal heißt es über Hughie: „Er trug – aus purer Gemeinheit – eine Samtweste, in der er, das hatte ich ihm wiederholt versichert, an einen Drehorgelmann erinnerte.“ „Gemeinheit“ ist ein sehr starkes Wort für eine ‚Neckerei‘ („just to spite me“) unter Freunden.

Die Logik des Textes wird in der Übersetzung auch bezüglich der so zentralen Thematik vom Vergehen der Zeit gestört. Als Max seine Alice in den Wirren des Erdbebens von San Francisco ein zweites Mal zu verlieren droht, geht ihm durch den Kopf, wie viel Zeit ihm bleibt, sie zu finden, bevor er sich in ein Kind verwandelt haben wird: „You see; I did not have years to find her. Three, perhaps, or five. But not twenty, like before, not even ten; it would be too late. My condition would betray me.” Die Übersetzerin bezieht sich dagegen auf die Zeit, die Max bleibt, bis Alice und ihre Mutter mit dem Wagen davonfahren, sodass ein innerer Widerspruch entsteht: „Verstehst du; mir blieben keine Jahre, um sie zu finden. Drei, höchstens fünf Minuten. Aber nicht zwanzig, wie dieses Mal, ach was, keine zehn, es wäre zu spät. Mein Zustand würde mir einen Strich durch die Rechnung machen.“

Bereits zu Beginn seiner Aufzeichnungen bittet der äußerlich zwölfjährige Max um Vergebung für seine „kindliche Handschrift“ („childish handwriting“). Gegen Ende des Buches malt er sich aus, wie seine geliebte Alice nach seinem Tod eines Tages auf dem Speicher diese Lebenserinnerungen finden wird: „You will move aside the photo albums and there it will be, the box labelled „Max“ in my boyish hand“. Die Übersetzerin übersieht offenbar, dass „hand“ auch „Handschrift“ bedeuten kann, und gibt mit ihrem Eingriff dem Satz einen völlig anderen Sinn: „Du wirst die Fotoalben beiseite schieben, und siehe da, es wird eine Schachtel mit der Aufschrift „Max“ in deiner kindlichen Hand liegen“. Alice wird zu dem Zeitpunkt etwa sechzig Jahre alt sein…

Abgesehen von den erwähnten Schwächen übersetzt Uda Strätling souverän und mit einer dem nachempfundenen Stil des neunzehnten Jahrhundert angemessenen Patina. Dabei ist die Handlung so packend, dass ein Leser eventuelle Ungereimtheiten im deutschen Text möglicherweise einfach überliest. Max Tivolis Geschichte ist in der Tat erstaunlich, anrührend und wunderschön – nur eben im Original noch ein bisschen schöner.

Andrew Sean Greer: Die erstaunliche Geschichte des Max Tivoli, aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Uda Strätling, Frankfurt a.M: S. Fischer 2005, 350 Seiten, €19,90

Andrew Sean Greer: The Confessions of Max Tivoli, New York: Farrar, Straus and Giroux 2004, 350 Seiten

Andrew Sean Greer lebt in San Francisco. Im Jahr 2000 veröffentlichte er die Kurzgeschichtensammlung How it was for me, im darauffolgenden Jahr seinen ersten Roman The Path of Minor Planets (dt. „Die Nacht des Lichts“, 2003). The Confessions of Max Tivoli wurde ein internationaler Bestseller.

Uda Strätling übersetzte unter anderem Andrew Sean Greers Romane Die erstaunliche Geschichte des Max Tivoli und Die Nacht des Lichts, Irvin D. Yaloms psychoanalytischen Roman Und Nietzsche weinte sowie mit Wilde Nächte eine Sammlung von Briefen Emily Dickinsons. 2001 wurde sie mit dem Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzungen ausgezeichnet.