Buchcover Die Übersetzung als Hommage an den Autor
Stefanie Hattel über Das Badezimmer von Jean-Philippe Toussaint, aus dem Französischen übersetzt von Joachim Unseld

Wie übersetzt man einen roman impassible, einen ausdruckslosen Roman? La salle de bain (1985), deutsch Das Badezimmer, aus der Feder des belgischen Autors Jean-Philippe Toussaint, ist die Inszenierung einer Weltverweigerung. Der demonstrative Rückzug in die Badewanne als Ausdruck einer existentiellen Krise – frei nach Pascal: ,Tout le malheur des hommes vient d’une seule chose qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre‘.

Drei Teile umfasst das Mosaik einer Assoziationskette. Teil eins: Der Ich-Erzähler, 27, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der historischen Fakultät einer Universität in Paris, leicht phlegmatisch, kehrt der Welt den Rücken und zieht sich bis auf weiteres in sein Badezimmer zurück. Lässt fortan seinen Blick schweifen und hängt seinen Gedanken nach. Edmondsson, seine Lebensgefährtin, Galeristin, sehr energisch, reißt ihn unnachgiebig aus seiner Isolation und hält ihn mit Alltäglichem auf Trab. Teil zwei: Der Ich-Erzähler kehrt Paris den Rücken und reist nach Venedig. Lebt in den Tag hinein und lässt sich treiben. Empfängt Edmondsson und lässt sich beinah auf ihren zweiten Frühling ein. Dann wirft er völlig unmotiviert in einem „acte gratuit“ einen Dartpfeil auf sie ab und verletzt sie an der Stirn. Teil drei: Der Ich-Erzähler kehrt nach Paris und in sein Badezimmer zurück.

Bewusst wählt er die Sprachlosigkeit in einer fremden Sprachgemeinschaft. Seiner eigenen Sprache vertraut er sich nicht an. Lieber gestikuliert er, zitiert die Worte anderer oder schweigt: „Mir war nicht mehr nach Sprechen.“ Sein Überdruss entbehrt jeder vernünftigen Grundlage. Sich dessen wohl bewusst, zerpflückt er selbstironisch jede seiner Äußerungen, schwankt entschlossen unentschlossen zwischen Pathos und Banalität, grenzt in seiner Überzeichnung an Kitsch: „Das Leiden war die letzte Gewißheit, daß ich am Leben war, die einzige“, lautet sein Kommentar zum eigenen Schnupfen.

Stilisierung ist auch das Prinzip der Übersetzung Joachim Unselds.

Mit großer Wertschätzung nähert er sich dem „berühmten Traktat über Bewegung und Stillstand“ und überführt den Leser resolut in den französischen Kulturraum: Im Badezimmer steht ein Bidet, zum Kaffee werden Éclairs und Mille feuilles gereicht. Zuweilen zitiert die Übersetzung kühn das Original: „des palais éclairées illuminaient la nuit“ – „illuminierte Paläste erhellten die Nacht“.

„Je perturbe les hypothèses des spécialistes qui travaillent sur mes textes“, lautete Toussaints Antwort auf die wissenschaftliche Vereinnahmung seiner Texte an den Universitäten. „Ich bringe die Annahmen der Fachleute über meine Texte durcheinander“, könnten auch Joachim Unselds Worte zu seiner Arbeit lauten. Er spürt die Argusaugen der Akademiker auf seiner Neuübersetzung (Jürgen Hochs Übersetzung von 1987 ist vergriffen), und geht auch hier den Weg des Autors. Wie Toussaint mit der Erzähltradition spielt er mit Übersetzungsstrategien, folgt einer Konzeption nur, um mit ihr zu brechen: während er die Objektwelt des Romans sonst konsequent im französischsprachigen Raum verankert, legt er den Hauptfiguren als Venedig-Touristen plötzlich einen Anglizismus in den Mund: an der Museumskasse kaufen die beiden nicht Billets, nicht Eintrittskarten, sondern Tickets. Souverän meistert der Übersetzer Unseld, der seine Studienzeit in Paris verbrachte, die Eigenheiten des französischen Sprachgebrauchs – so souverän, dass er sich über Grundregeln wie die Vermeidung von falschen Freunden locker hinwegsetzt: „Wir betraten ein Café. Es war ein holzgetäfeltes Etablissement.“ Doch gemessen an den grammatischen Finessen, die das Französische birgt, ist diese „Wortschatzarbeit“ Spielerei. „Je n’avais plus envie de parler“ – Ich hatte keine Lust mehr zu sprechen, teilt der Erzähler beiläufig mit. Doch der Teufel liegt im Detail: Das Imparfait impliziert Dauerhaftigkeit. Die Lust ist dem Phlegmatiker nicht einfach nebenbei vergangen, sein demonstratives Schweigen ist keine vorübergehende Laune, sondern eine grundsätzliche Absage an die Welt. Sein Hang zum Absoluten klingt im Deutschen noch schärfer durch: „Mir war nicht mehr nach Sprechen“, deklariert Unselds Erzähler. Auch der programmatische letzte Satz birgt Tücken: „Le lendemain, je sortis de la salle de bain“, hebt der junge Mann zunächst zu erzählen an. „Le lendemain, je sortais de la salle de bain“ – die wortwörtliche Wiederholung, die allein im Gebrauch der Zeiten variiert, setzt den Schlussakkord. Mit dem Verlassen des Badezimmers als punktueller Handlung setzt das Geschehen im ersten Fall erst ein. Im zweiten Fall wird die Handlung quasi rückblickend als Hintergrund des Geschehens genannt: Der Kreis schließt sich. Der Akzent liegt damit auf der zyklischen Struktur, ein ironischer Seitenhieb Toussaints auf die postmoderne Befindlichkeitsprosa als monotoner Endlosschleife. Toussaints fiktive Welt ist in „Bewegung“, nur kreist sie um sich selbst. Unseld dagegen wiederholt den Schlüsselsatz tatsächlich wörtlich: „Am folgenden Tag verließ ich das Badezimmer“. Die Monotonie unterstreicht den statischen Aspekt der Bewusstseinsprosa. Die „Bewegung“ wird bei ihm zum „Stillstand“.

Joachim Unselds Übersetzung steckt voller Eigensinn. Stellenweise liest sie sich wie ein fachkundiger Kommentar zum Original. Doch vor allem ist sie eines: eine Hommage an Autor und Werk.

Jean-Philippe Toussaint: Das Badezimmer, aus dem Französischen übersetzt von Joachim Unseld. Frankfurt: Frankfurter Verlagsanstalt 2004. 128 Seiten

Jean-Philippe Toussaint: La salle de bain. Paris: Éditions de Minuit 1985, 123 Seiten

Jean-Philippe Toussaint, 1957 in Brüssel geboren, begann bereits während seines Geschichtsstudiums am Institut des Sciences Politiques de Paris und an der Sorbonne „sérieusement“ zu schreiben. Sein erster Roman La salle de bain entstand während eines Algerienaufenthaltes (1982 – 1984), wo er als Französischlehrer tätig war. Das Manuskript, das Toussaint Alain Robbe-Grillet und einer Reihe von Verlagen zuschickte, stieß zunächst auf Ablehnung. Ein Exemplar gelangt in die Hände von Jérôme Lindon, dem Verleger der Éditions de Minuit, der es 1985 veröffentlicht. Toussaint hatte diesen Verlag nicht bedacht, da er ihm „franchement trop intellectuelle“ erschien. 1987 verfilmt John Lvoff die Romanvorlage. Jean-Philippe Toussaint lebt als freier Schriftsteller und Regisseur in Paris und auf Korsika.

Joachim Unseld, geboren 1953, ist der Verleger der Frankfurter Verlagsanstalt, die junge Autoren aus Deutschland aber auch aus dem englisch-, französisch- italienisch- und spanischsprachigen Ausland im Programm hat. Nach dem Abitur absolvierte er eine Verlagslehre bei seinem Vater Siegfried Unseld im Suhrkamp Verlag. Nach seinem Studium der Germanistik, Soziologie und Philosophie in München, Paris und Berlin, wo er bei Walter Höllerer und Norbert Miller über Franz Kafka 1981 promovierte, arbeitete er für die Verlage Gallimard in Paris (1981), Farrar, Straus und Giroux in New York (1981/82) und bei verschiedenen Verlagen in Barcelona. 1983 kehrte er als geschäftsführender Gesellschafter, später als gleichberechtigter Verleger neben Siegfried Unseld zum Suhrkamp Verlag zurück, wo er u. a. für die jüngere deutschsprachige Literatur verantwortlich war. 1991 schied er aus dem Verlag aus, 1994 übernahm er die Verlagsleitung der Frankfurter Verlagsanstalt.