Buchcover Die Liebe zum Fußball oder Frankreich gegen Senegal
Marlene Frucht über Der Bauch des Ozeans von Fatou Diome, aus dem Französischen übersetzt von Brigitte Große

Die Senegalesin Salie lebt und studiert in Strassburg. Oft telefoniert sie mit ihrem Bruder, der zuhause auf der Insel Niodior geblieben ist. Dieser stellt sich Frankreich wie ein Paradies vor und würde gerne Profifußballer in einem französischen Verein werden. Salie möchte zwar nicht jammern, ihr ist aber daran gelegen, ihm seine Illusionen zu nehmen. Sie will verhindern, dass er – wie schon andere vor ihm – auf windige Vermittler hereinfällt, die versprechen, ihn in einem französischen Verein unterzubringen. Das gelingt ihr schließlich auch. Doch warum kehrt sie nicht selbst zurück? Salie hat ihre eigenen Gründe, trotz Heimweh, Einsamkeit und anderer Schwierigkeiten im kalten Frankreich zu bleiben. Keines der Länder bietet ihr ein perfektes Zuhause.

Die Stärke des Romans von Fatou Diome liegt im Erzählen – in den Bildern, in denen die Hauptfigur Salie von ihrer Heimat spricht, in den verschiedenen Lebensgeschichten, die sich alle in irgendeinem Punkt berühren, in den lebendigen Fußballszenen im Stil von Live-Kommentaren – und in der unverhüllten Kritik beider Gesellschaften, der französischen wie der senegalesischen.

Sehr offen kritisiert Salie beide Seiten, die Einreisebestimmungen in Frankreich, den Sextourismus aus Europa in ihre Heimat, die unbarmherzigen traditionellen Gewohnheiten in ihrem Dorf. Angenehm ist, dass Salie trotz ihrer Kritik nicht in Selbstmitleid verfällt. Anstatt nur von sich selbst zu reden, erzählt sie in Episoden die Geschichten anderer, die mit ihrem Traum von einem besseren Leben in Frankreich gescheitert sind. Dies könnte leicht zur trockenen Anklage geraten, was aber die distanzierte Haltung und der ironische Tonfall verhindern. Die Erzählung wirkt unter anderem deshalb sehr leicht, weil die Erzählerin den Leser immer wieder anspricht: „Pourquoi je vous raconte tous ca? J’adore le foot? Pas tant que ça. Alors? Je suis amoureuse de Maldini? Mais non!“ („Warum ich euch das erzähle? Weil ich ein Fußballfan bin? Nicht unbedingt. Und weshalb sonst? Weil ich für Maldini schwärme? Unsinn!“)

Die Übersetzung nimmt den ironisch-leichten Tonfall auf und ist dabei frei genug, an geeigneter Stelle ein Wortspiel einzufügen, das sich im Deutschen anbietet: Salie erzählt, ihre Großmutter habe ihr schon früh gezeigt, wie man sich die Sterne vom Himmel holt: „Du stellst nachts eine Schüssel (im Original: „une bassine“) mit Wasser in den Hof, schon liegen sie dir zu Füßen. Ja, es reicht sogar eine kleine Schüssel („une coupe“) in einer Ecke des Gartens, und du siehst zweiundzwanzig Stars (…)“.
Der sehr freie Umgang mit Satzfolge und Absätzen ist gerechtfertigt, da er der Übersetzung ihren eigenen Rhythmus verleiht. Gut gelungen sind auch die Fußballszenen im Live-Kommentarstil, wobei hier Anglizismen wie „Keeper“ dem Jargon angehören, während sie an anderer Stelle wohl Geschmackssache sind, z.B. „Black Beauties“ („beautés cannelle“) oder „Goodies, die für Kundenbindung sorgen“ („lots, qui fidélisent la clientèle“). Dies sind jedoch Kleinigkeiten, die der in sich stimmigen Übersetzung keinen Abbruch tun.

Der Bauch des Ozeans ist trotz seiner kritischen Tendenzen ein leicht zu lesendes Buch und damit eine unterhaltsame Gelegenheit, Frankreich einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten.

Fatou Diome: Der Bauch des Ozeans, aus dem Französischen übersetzt von Brigitte Große. Zürich: Diogenes 2004. 288 Seiten

Fatou Diome: Le ventre de l’Atlantique. Paris: Éditions Anne Carrière 2003. 256 Seiten

Fatou Diome wurde 1968 in Niodior im Senegal geboren. 1994 kam sie nach Straßburg, studierte dort Literaturwissenschaften und lehrt heute an der Universität.

Brigitte Große ist unter anderem Übersetzerin von Frédéric Beigbeder, Amélie Nothomb und Georges-Arthur Goldschmidt und erhielt 1994 den Hamburger Übersetzerpreis sowie 1999 den Hieronymusring, eine Auszeichnung des Verbands deutschsprachiger Übersetzer.