Buchcover Ödnis im Bett?
Elisabeth Scherer über Südlich der Grenze, westlich der Sonne von Haruki Murakami, aus dem Japanischen neuübersetzt von Ursula Gräfe

Murakami Harukis Gefährliche Geliebte ist der Roman, über dem sich im Jahr 2000 das Literarische Quartett zerstritten hat. Dieser Streit haftet dem Werk hierzulande immer noch so sehr an, dass er auch auf dem Klappentext der gerade erschienenen Neuübersetzung eigens erwähnt wird. Sigrid Löffler regte sich damals vor allem über die Sprache des Romans auf: „Das ist ein völlig sprachloses, kunstloses Gestammel.“ Sie räumte jedoch ein, dass dies auch der Übersetzung geschuldet sein könne. Marcel Reich-Ranicki verteidigte den „hoch erotischen Roman“ vehement. Was im Quartett unerwähnt blieb: Die erste deutsche Ausgabe wurde aus dem Englischen übersetzt, kam also erst über den Umweg einer dritten Sprache beim deutschen Publikum an. Dreizehn Jahre später hat der Dumont Verlag nun eine Neuübersetzung aus dem Japanischen von Ursula Gräfe, seit Naokos Lächeln Murakami-Stammübersetzerin, auf den Markt gebracht. Eine schöne Gelegenheit zu schauen, was es mit dem „kunstlosen Gestammel“ auf sich hat.

Die neue Übersetzung hat auch einen neuen Titel: Südlich der Grenze, westlich der Sonne – eine Entsprechung zum japanischen Kokkyô no minami, taiyô no nishi und zum englischen South of the border, west of the sun. Dem Dumont Verlag war dieser Titel, der auf einen amerikanischen Song anspielt, wohl bei der Erstveröffentlichung zu sperrig. Die Gefährliche Geliebte fällt auch auf dem Umschlag der neuen Ausgabe noch deutlicher ins Auge als der neue Titel, der sich dezent an den Rücken einer Dame schmiegt. Ob die Geliebte im Roman wirklich „gefährlich“ ist, sei dahingestellt. Zumindest bereitet Shimamoto ihrem ehemaligen Schulkameraden und besten Freund Hajime jede Menge Kopfzerbrechen, als sie nach 25 Jahren wieder in seinem Leben auftaucht. Doch hier soll es nicht um die Geschichte gehen.

Murakamis Japanisch wirkt einfach und bereitet daher auch Japanisch-Lernenden schnell Erfolgserlebnisse. Murakami verzichtet auf die endlosen Relativsätze, die im Japanischen gerne ausufern, und baut übersichtliche Konstruktionen. Die Sätze sind oft kurz. Mit vielen Punkten. Angenehm zu übersetzen, könnte man denken. Gerade das sei jedoch die Schwierigkeit, erklärt Jay Rubin, einer der beiden Murakami-Übersetzer ins Englische, gegenüber der Asahi Shinbun: „We have to strive not to put the story into boring English.“[1]

Langeweile kam zumindest im literarischen Quartett nicht auf, als Murakami besprochen wurde. Ein Satz, den Löffler in der Sendung (aus der alten deutschen Übersetzung) als besonders schwerwiegend zitierte, ist folgender: „Ich wollte mit Deiner Cousine schlafen; ich wollte sie bis zur Hirnerweichung vögeln – tausendmal, in jeder erdenklichen Stellung.“ (Alt: 52). In der neuen Übersetzung klingt das nun so: „Ich will mit Deiner Cousine schlafen […] Sex haben, bis mir das Hirn schmilzt. Tausendmal in jeder nur möglichen Stellung.“ (Neu: 50). Zunächst erscheinen die Unterschiede hier nur gering – dennoch stellt sich die Frage, ob sich Sigrid Löffler über die neue Version ebenso echauffiert hätte.

„Bis zur Hirnerweichung“ ist im Deutschen ein abgegriffenes Bild, das zudem an Syphilis denken lassen könnte – eine Bedeutungsdimension, die im japanischen Ausdruck an dieser Stelle nicht enthalten ist. Eine noch größere Verschiebung jedoch ergibt sich durch das Wort „vögeln“. Zunächst ist es ungleich vulgärer als das japanische „sekkusu o shitai“ (Japanisch: 65) bzw. in der neuen deutschen Version „Sex haben“. Zusätzlich taucht das Verb hier mit einem Objekt auf, „sie vögeln“, wodurch dem Mann hier alleine der aktive Part zugeschrieben wird, während die Frau objektiviert wird. Den Übersetzern der deutschen Erstausgabe ist das nicht anzukreiden, denn „I wanted to screw her till my brains fried“ (Englisch: 41) lässt kaum zimperliche Formulierungen zu. In der neuen Übersetzung schlafen zwei Menschen miteinander, wo zuvor noch die Cousine „genagelt“ wurde, und sie haben Geschlechtsverkehr statt es miteinander zu „treiben“. Macht sich da Ödnis breit im Bett? Eher fällt es nun leichter, der „Zartheit“ in dem Roman gewahr zu werden, die Reich-Ranicki schon vor dreizehn Jahren in ihm sah.

Dank der englischen Vorlage wurde es in der Version aus dem Jahr 2000 auch noch an anderen Stellen etwas deftiger: „Als ich den Motor anlassen wollte, überkam mich plötzlich eine Woge von Übelkeit. Als müsste ich gleich meine Eingeweide auskotzen. Aber ich übergab mich nicht.“ (Alt: 220) Wieder treffen die Übersetzer hier den Ton, den Philip Gabriel im Englischen mit „as if I was going to spew my guts out“ (Englisch: 178/79) angeschlagen hat. Bei Ursula Gräfe heißt es: „Als ich den Motor anlassen wollte, wurde mir übel. Ich hatte das Gefühl, mich übergeben zu müssen, aber ich würgte nur.“ (Neu: 214). Von Eingeweiden ist auch im Japanischen nicht die Rede.

Nicht nur Vulgaritäten bringt der Umweg aus dem Englischen hervor, stellenweise sprießen auch bildhafte Ausdrücke, wo es im Japanischen eher karger zugeht. So ist vom „Leichnam eines schönen Songs“ (Alt: 222) die Rede statt von dem „Relikt einer schönen Melodie“ (Neu: 216). An anderen Stellen gehen originelle Bilder verloren, weil die Übersetzung auf Metaphern der eigenen Sprache zurückgreift, sich sozusagen zum Vertrauten verführen lässt. So gibt es statt „Gärten aus Luft mit ihren klaren, frischen Farben“ (Neu: 207) nur ein „liebevoll gestaltetes, farbenfrohes Luftschloss“ (Alt: 213).

Der ersten Übersetzung von Murakamis Roman kann man keine Vorwürfe machen ­– sie trifft als Übersetzung aus dem Englischen den Ton der Vorlage. Philip Gabriel hingegen hat Murakami stellenweise in eine bestimmte Richtung gedreht, wohl um das „boring English“ zu vermeiden, von dem auch Jay Rubin spricht – vielleicht aber auch, um bestimmte westliche Vorstellungen von den angeblich sexuell freizügigeren Japanern zu bedienen. Ursula Gräfe sprach schon 2002 in einem Interview davon, dass die US-amerikanischen Murakami-Übersetzungen teilweise mit dem Ursprungstext „sehr arrogant“ umgingen und sich dazu verführen ließen, eigene Muster zu reproduzieren – gerade weil Murakami seinen Romanen eine sehr internationale Anmutung verleiht. [2] Kulturelle Nähe mache laut George Steiner [3] das Übersetzen deshalb schwer, da hier „ein ganzes Knäuel aus fast instinktivem Vorwissen und Annahmen“ auf das Verständnis des Textes einwirke. Murakamis Protagonisten konsumieren hauptsächlich global zirkulierende Produkte, wie Spaghetti, Cocktails oder amerikanische Musik. Das schafft Vertrautheit beim globalen Publikum und birgt Gefahren für den Übersetzer. Murakami selbst bringt es in Japan zuweilen die Kritik ein, er sei zu verwestlicht oder seine Romane klängen wie Übersetzungen aus dem Englischen.

Murakamis Geschichten entfalten sich in einer einfachen, lapidaren Sprache – die man vielleicht auch „boring Japanese“ nennen könnte, die aber auch einen Reiz seiner Werke ausmacht. Wenn man diese Schlichtheit mag, kann man sie nun in der Neuübersetzung genießen. Wenn man sie nicht mag, hilft Hinzudichten auch nicht – es sei denn, zwei Menschen streiten sich so schön darüber, wie es im Jahr 2000 geschehen ist. Denn auch eine inadäquate Übersetzung kann, wie George Steiner feststellt, „das Original […] entschädigen“ [4], indem sie ihm zu einer neuen Breitenwirkung verhilft.

Murakami, Haruki: Kokkyô no minami, taiyô no nishi. Tokyo: Kôdansha 1997, 192 Seiten (6. Auflage).

Murakami, Haruki: South of the border, west of the sun, aus dem Japanischen übersetzt von Philip Gabriel. London: Vintage 2003, 224 Seiten.

Murakami, Haruki: Gefährliche Geliebte, aus dem Englischen übersetzt von Giovanni Bandini und Ditte Bandini. Köln: Dumont 2000 (4. Auflage), 217 Seiten.

Murakami, Haruki: Südlich der Grenze, westlich der Sonne, aus dem Japanischen übersetzt von Ursula Gräfe. Köln: Dumont 2013, 224 Seiten.

Murakami Haruki, geb. 1949, gilt als der gegenwärtig populärste japanische Autor weltweit. Bisher sind von ihm dreizehn Romane, mehrere Reisetagebücher und Essay-Sammlungen sowie zahlreiche Erzählungen erschienen. Als erstes Werk von Murakami wurde 1991 der Roman Hitsuji o meguru bôken (Wilde Schafsjagd) ins Deutsche übersetzt, im Januar 2014 erschien hierzulande das neueste Werk unter dem deutschen Titel Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki. Bisher nicht ins Deutsche übertragen wurden Murakamis erste Romane Kaze no Uta o Kike („Hear the Wind sing“, 1979) und Sen-Kyûhyaku-Nanajû-San-Nen no Pinbôru („Pinball, 1973“, 1980).

Ursula Gräfe übersetzt literarische Werke vor allem aus dem Japanischen als auch aus dem Englischen, von u.a. Hiromi Kawakami, Yōko Ogawa, Kenazaburo Oe und Jane Austen. Seit der Übersetzung von Naokos Lächeln konnte sie sich als Haruki Murakamis Stammübersetzerin etablieren, von dem sie inzwischen zwölf Bücher ins Deutsche übertragen hat. Soeben erschienen ist der neueste Roman Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki. 2004 erhielt sie zusammen mit Kimiko Nakayama-Ziegler den Übersetzerpreis der Japan Foundation für den Erzählband Schwimmbad im Regen der Autorin Yōko Ogawa.

 

 

Dr. Elisabeth Scherer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Modernes Japan der Universität Düsseldorf. Sie studierte Japanologie und Allgemeine Rhetorik an der Universität Tübingen und an der Dôshisha Universität in Kyôto. Zu ihren Forschungsinteressen gehören Populärkultur, Religion und Religiosität in Japan sowie Gender Studies. Veröffentlichungen u.a.: Spuk der Frauenseele – Weibliche Geister im japanischen Film und ihre kulturhistorischen Ursprünge (Dissertation, 2011) und Nipponspiration – Japonismus und japanische Populärkultur im deutschsprachigen Raum (2013).

Literatur:

[1] Nakamura, Mariko: „When it comes to publishing Haruki Murakami in English, nothing is lost in translation“. The Asahi Shinbun, 15.5.2013. http://ajw.asahi.com/article/cool_japan/culture/AJ201305150070.
[2] Messmer, Susanne: „Keine Übersetzung ohne Verluste“. [Interview mit Ursula Gräfe]. Taz, 9.3.2002. http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2002/03/09/a0148
[3] Steiner, George: Nach Babel. Aspekte der Sprache und des Übersetzens. Frankfurt: Suhrkamp, 2004, S. 357
[4] ebd, S. 381