Buchcover Aus der Finsternis ans Sonnenlicht – der sensationelle Fund eines Originalmanuskripts und seine lange (Übersetzungs)Geschichte
Sabrina Sandmann über Sonnenfinsternis von Arthur Koestler, in englischer Übersetzung, Rückübersetzung und im Original

Arthur Koestler gilt als einer der bedeutendsten Autoren und Journalisten während des zweiten Weltkriegs. Sein wohl bekanntester Roman ist Sonnenfinsternis aus den 1940er Jahren, in dem er die Erfahrungen aus seiner Zeit in der Kommunistischen Partei und während des Krieges schildert, wozu Inhaftierung, Folterung und Beinahe-Exekution zählen. Die Publikationsgeschichte des Romans ist gleichermaßen interessant wie ungewöhnlich, denn er wurde zwar auf Deutsch geschrieben, erschien aber zunächst auf Englisch und in einer deutschen Rückübersetzung, da das deutsche Original lange Zeit als verschollen galt.

Die Jahre 1939 und 1940 waren kein besonders günstiger Zeitpunkt, um Bücher über die Machenschaften der Sowjetunion und Hitlerdeutschland zu veröffentlichen. So verwundert es nicht, dass es sich für Arthur Koestler als unmöglich erwies, einen Verlag für seinen kritischen Roman Sonnenfinsternis zu finden, denn die Handlung ist den Geschehnissen der Moskauer Schauprozesse der Jahre 1936-1938 nachempfunden, in denen Angeklagte durch Folter erzwungene falsche Geständnisse ablegten und dafür zum Tode verurteilt wurden.

Der englische Verlag Jonathan Cape, in dem bereits Koestlers historischer Roman Die Gladiatoren auf Englisch erschienen war, erklärte sich jedoch zur Publikation des Romans bereit, und so übersetzte Koestlers damalige Lebensgefährtin, Daphne Hardy, den Roman ins Englische, noch während Koestler daran arbeitete. Gerade einmal zehn Tage nach der Fertigstellung des Manuskripts mussten Hardy und Koestler aus Frankreich fliehen, wo sie gemeinsam lebten, hatten es aber immerhin geschafft, die englische Übersetzung zuvor an den Verlag Jonathan Cape zu schicken, wo der Roman 1940 unter dem von Hardy vorgeschlagenen Titel Darkness at Noon erschien.

Bei der überstürzten Flucht konnte Koestler selbstredend nicht alle anderen Manuskripte mitnehmen und ließ daher auch Sonnenfinsternis zurück – damals noch unter dem ursprünglich angedachten Titel Circulus Vitiosus bzw. Rubaschow. Auf dem Weg versuchte er, zwei Durchschriften bei Bekannten zu hinterlassen, konnte jedoch später nur Teile davon wiedererlangen. Dass sich das gesamte Werk beim Europa Verlag in Zürich im Archiv befand, ahnte er damals nicht – ein Kontaktversuch des englischen Lektors Rupert Hart-Davis vom Verlag Jonathan Cape im Jahr 1940 blieb ohne Antwort.

So war es 2015 eine große Überraschung für den Forscher Matthias Weßel, als er bei der Recherche für seine Dissertation mit dem Thema „Arthur Koestler: Die Genese eines Exilschriftstellers“ eher zufällig auf einen Roman des Autors mit dem Titel Rubaschow stieß, hatte er doch eigentlich nach etwas ganz Anderem gesucht. Erst nachdem er das Manuskript als Scan erhalten hatte, wusste er mit Sicherheit, dass es sich trotz des anderen Titels um das verschollene deutsche Original des Romans Sonnenfinsternis handelte.

Eine deutsche Version hatte es vorher durchaus gegeben: Nachdem Koestler sein Originalmanuskript in Teilen zurückerlangen konnte, übersetzte er den restlichen Text in den Jahren 1943-1944 selbst aus dem Englischen ins Deutsche zurück. Der Text wurde 1946 unter dem Namen Sonnenfinsternis – in Anlehnung an den englischen Titel – veröffentlicht und fand nach einer kurzen Verbotszeit weite Verbreitung. Dennoch wurden auch alle weiteren Übersetzungen in über 30 Sprachen auf Grundlage der englischen Fassung erstellt, da diese früher verfügbar war und wegen der fehlenden deutschen Version als Ursprungstext angesehen wurde.

Problematisch ist hierbei, dass Daphne Hardys Übersetzung ins Englische einige Ungenauigkeiten enthält. Man muss jedoch in Betracht ziehen, unter welchem Zeitdruck (während Koestler noch schrieb) und in welcher ungewöhnlichen Situation (in den Wirren des Krieges und in ständiger Angst vor Verhaftung und Verfolgung) die Übersetzung entstehen musste. Zudem war Hardy keine ausgebildete Übersetzerin, verfügte nicht über hinreichendes Wissen zu den Machenschaften und Terminologien des Sowjetregimes und der Nationalsozialisten und war zum Zeitpunkt der Übersetzung noch sehr jung, gerade Anfang Zwanzig. Obwohl Koestler versuchte, sie bei der Übersetzung zu unterstützen, wie Matthias Weßel in seinem Nachwort zur Neuausgabe des Originals schreibt, konnten nicht alle Schwierigkeiten in der Übersetzung gelöst werden.

Auch Koestler hatte es nicht ganz leicht bei seiner Rückübersetzung: Zwar entstand diese nur drei bis vier Jahre nach dem Originalmanuskript, jedoch war es das letzte Buch gewesen, das er auf Deutsch geschrieben hatte – alle folgenden Publikationen verfasste er direkt auf Englisch. Im Exil verwendete er die deutsche Sprache kaum noch, sodass er in dieser nicht mehr die selbstverständliche Fertigkeit besaß wie nur wenige Jahre zuvor. Seine Versuche, den Stil und die Wortwahl dem ursprünglichen Original so nah wie möglich zu bringen, waren dementsprechend nicht so erfolgreich wie gehofft. So schreibt er selbst 1960 im Nachwort zu seiner Rückübersetzung, dass „das quälende Gefühl bestehen bleibt, der Spontaneität des Originals verlustig gegangen zu sein“. Von den wiedererlangten Teilen seines Originalmanuskripts spricht er in diesem Nachwort allerdings nicht: insbesondere die ersten etwa 75 Seiten (das gesamte erste Kapitel „Das erste Verhör“) sowie ca. 35 Seiten aus dem zweiten Kapitel „Das zweite Verhör“ (Unterkapitel 2 bis 6) sind nahezu identisch – abgesehen von kleineren Änderungen auf Wortebene, die wahrscheinlich Koestler selbst während der Überarbeitung vornahm. Es handelt sich somit um knapp die Hälfte des Buches, die Koestler offenbar wiedererlangt hatte; ein Umstand, der jedoch erst mit dem Fund des ursprünglichen Originals untersucht werden kann, da die Angaben aus Briefen und Nachlässen unterschiedliche Schlüsse zum Verbleib des Originals und dem Wiederfinden von Teilen zulassen.

Ein Vergleich der deutschen Versionen lohnt sich demnach insbesondere für die Kapitel, die Koestler nicht aus dem Original übernehmen konnte. In Bezug auf das Englische beginnen die Schwierigkeiten jedoch gleich zu Beginn bei den Kapitelüberschriften: Hardy nennt die „Verhöre“ nicht „interrogations“, sondern „hearings“ – ein viel zu milder Ausdruck für das, worum es hier geht. Koestler hat in seiner Rückübersetzung jedenfalls erneut den Begriff „Verhöre“ verwendet. Auch heißen die „Untersuchungsrichter“ bei den Verhören sehr wörtlich übersetzt „examining magistrates“ statt eher „interrogators“. In vielen weiteren Bereichen wird die Wirkung des Deutschen im Englischen abgeschwächt, so leidet Rubaschow im Deutschen z. B. an „Fieber“ und im Englischen hat er nur eine „temperature“ oder „walked up and down the cell once or twice until his head became quite clear“ anstatt „ging einigemale in der Zelle auf und ab, um abzuwarten, bis sein Kopf völlig klar wurde“ (Hervorhebungen durch die Rezensentin). Anspielungen auf Hitler und die Sowjetunion verschwinden, indem sie „anglisiert“ und verallgemeinert werden. So wird z. B. aus „unsere Führungsvergottung [ist] grotesker als die des Hampelmannes mit dem kleinen Schnurrbärtchen“ bei Hardy: „our leader-worship [is] more Byzantine than that of the reactionary dictatorships“, was dazu führt, dass Koestler in seiner eigenen Rückübersetzung die Anspielung ebenfalls verliert: „unser Führerkult [ist] byzantinischer als unter konterrevolutionären Diktaturen“. An anderer Stelle bleibt die Anspielung bei Hardy jedoch erhalten. Wo es im Original heißt: „Letzen Endes bin ich ja auch mit dem Programm des Männchens mit dem schwarzen Schnurrbart einverstanden, wenn es bloß nicht so kreischen würde“, macht Hardy daraus: „If it comes to the point, I also agree with the programme of our manikin with the black moustache – if he only wouldn’t shreek so.“ Und auch Koestler behält dies entsprechend in seiner Rückübersetzung bei: „Wenn es darauf ankommt, stimme ich ja auch mit dem Programm unseres Männekens mit dem schwarzen Schnurrbart überein – wenn er bloß nicht so kreischen würde.“ Wie man am letzten Beispiel auch sieht, lehnt Hardy zudem die englische Wortwahl, Syntax und Grammatik an einigen Stellen an die deutsche an, sodass der Text zum Teil hölzern und wenig idiomatisch klingt – „to come to the point“ aus dem obigen Beispiel wird in der Regel in anderen Zusammenhängen verwendet, so auch „that was not dreamed“ statt eher „that was not a dream“ für „das war auch nicht geträumt“, und das „Schuldbewußtsein“ wird bei Hardy zur „consciousness of guilt“ statt vielleicht idiomatischer „guilty conscience“.

Beim Vergleich der beiden deutschen Versionen fällt auf, dass sich andererseits auch die Rückübersetzung an manchen Stellen eng am Englischen orientiert. Im dritten Verhör heißt es beispielsweise im Original: „Rubaschow wartete seit zwei Tagen darauf, dem Untersuchungsrichter vorgeführt zu werden. Er hatte geglaubt, dies werde noch an dem Tag geschehn, an dem die von Iwanoff gestellte Frist abgelaufen war und er sein Kapitulations-Dokument dem alten Schließer zur Weiterleitung anvertraut hatte. Aber anscheinend hatte man es nun nicht mehr so eilig mit ihm.“ Daraus macht Hardy: „Rubashov had been waiting for two days to be taken before Ivanov. He had thought this would follow immediately after he had handed the document announcing his capitulation to the old warder; it happened to be the same day as the term set by Ivanov expired. But apparently one was no longer in such a hurry about him.“ Hardy stellt hier die von Iwanoff gestellte Frist hinter das Kapitulations-Dokument, obwohl der Ablauf der Frist mindestens genauso wichtig ist. Durch das Semikolon sowie die Formulierung „it happened to be“ und das nachgeklappte „expired“ geht die Wichtigkeit dieser Frist verloren, wirkt wie ein Zufall. In seiner Rückübersetzung kann Koestler dies auch nicht rückgängig machen: „Rubaschow wartete seit drei [sic!] Tagen darauf, Iwanoff vorgeführt zu werden. Er hatte ursprünglich angenommen, daß dies unverzüglich erfolgen würde, nachdem er das Dokument mit seiner Kapitulation dem alten Wärter eingehändigt hatte; überdies war dies der Tag gewesen, an dem die von Iwanoff gesetzt Frist ablief. Doch anscheinend hatte man es mit ihm nicht mehr so eilig.“

An manchen Stellen wirkt hingegen die Rückübersetzung idiomatischer. So wird aus: „er wartete, daß der Hieb mit dem Revolverknauf ihn endlich traf, aber er kam nicht“ in der Rückübersetzung: „er wartete auf den erlösenden Schlag mit dem Revolverknauf, doch er kam nicht“. Durch die Vermeidung des Nebensatzes ist die Lösung der Rückübersetzung eleganter. An einer andere Stelle heißt es im Original: „‚Ich kann doch nicht gestehen, was ich nicht begangen habe‘, sagte er mit leicht bebender Stimme. ‚Nein‘, tönte die Stimme Gletkins, das können Sie allerdings nicht‘; – und zum erstenmal [sic!] glaubte Rubaschow, etwas wie Spott in dieser Stimme zu hören.“ In der Rückübersetzung wiederholt Koestler das Wort „Stimme“ nur zweimal statt dreimal und schreibt: „‚Ich kann keine Verbrechen gestehen, die ich nicht begangen habe‘, sagte er. ‚Nein‘, tönte Gletkins Stimme. ‚Nein, das können Sie gewiss nicht‘ – und es schien Rubaschow, daß er zum erstenmal [sic!] etwas wie Spott in Gletkins Stimme vernahm“. Gleichzeitig geht jedoch der Bezug von „Stimme Gletkins“ und „dieser Stimme“, der die Wiederholung rechtfertigt, in der Rückübersetzung verloren.

Kleinere sprachliche Holprigkeiten des Originals wie die Dopplung von Wörtern sind mit Sicherheit auch den Umständen geschuldet, unter denen dieses entstanden ist – einen Teil dessen schrieb Koestler sogar, während er in Frankreich in einem Straflager interniert war. Und doch ist dies ein besonderes und authentisches Kennzeichen des Textes, während die Rückübersetzung einen neuen Entstehungskontext widerspiegelt. Wir können uns gewiss glücklich schätzen, nun den vollen Sprachschatz Arthurs Koestlers durch diesen großartigen Zufallsfund auskosten zu dürfen. Wenn die Publikation dieses Originals wiederum Neuübersetzungen auslöst, wird Koestlers Geschichte um weitere Versionen bereichert.

Literatur:

Arthur Koestler: Sonnenfinsternis (Coesfeld, Elsinor Verlag 2017, 256 Seiten inkl. Vor- und Nachwort), übersetzt von Daphne Hardy: Darkness at Noon (London, Jonathan Cape Ltd. 1985, 254 Seiten) wiederum übersetzt von Arthur Koestler: Sonnenfinsternis (Coesfeld, Elsinor Verlag 3. Auflage 2016, 256 Seiten inkl. Nachwort).

Michael Scammell: Logik der Eiszeit, Vorwort in: Arthur Koestler: Sonnenfinsternis (Coesfeld, Elsinor Verlag 2017), S. 7-17.

Matthias Weßel: Zur Entstehungs- und Textgeschichte von Arthur Koestlers Roman „Sonnenfinsternis“, Nachwort in: Arthur Koestler: Sonnenfinsternis (Coesfeld, Elsinor Verlag 2017), S. 234-247.

Arthur Koestler über Sonnenfinsternis (1954), Nachwort in: Arthur Koestler: Sonnenfinsternis (Coesfeld, Elsinor Verlag 3. Auflage 2016), S. 219-237.

Nachwort des Autors (1960), Nachwort in: Arthur Koestler: Sonnenfinsternis (Coesfeld, Elsinor Verlag 3. Auflage 2016), S. 238-240.

Jan Ehlert: Neuausgabe von „Sonnenfinsternis“ erschienen. https://www.ndr.de/kultur/buch/tipps/Arthur-Koestlers-Roman-Sonnenfinsternis,sonnenfinsternis548.html

Tobias Rüther: Arthur Koestler: Die Signaturen der Lebensgefahr in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, April 2016, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/originalmanuskript-zu-arthur-koestlers-sonnenfinsternis-entdeckt-14195009.html

Michael Scammell: A different „Darkness at Noon“ in: The New York Review of Books, April 2016, Band 63, Nummer 6, http://www.nybooks.com/articles/2016/04/07/a-different-darkness-at-noon

Arthur Koestler wurde 1905 in Budapest in eine jüdische Familie hineingeboren und war Journalist und Autor. Nach einigen Jahren Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei trat er 1938 aus und floh u.a. nach England. Sonnenfinsternis gilt als sein bekanntester Roman.

Daphne Hardy, geboren 1917, war eine englische Bildhauerin. Als damalige Lebensgefährtin Koestlers übersetzte sie Sonnenfinsternis ohne jegliche Vorerfahrung, noch während er selbst an dem Buch arbeitete, ins Englische.

Sabrina Sandmann, Jahrgang 1985, hat den Studiengang Literaturübersetzen an der Heinrich-Heine-Universität im Jahr 2013 mit dem Diplom abgeschlossen. Seit 2017 ist sie als freie Übersetzerin, Lektorin und Korrektorin tätig: www.sandmann-uebersetzt.com.

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