Was soll man denn da machen, nicht wahr? Ich kann den Leuten doch nicht sagen: Ihr mißversteht mich, und in Wahrheit geht in meinem Herzen dies und jenes vor! Das ist doch lächerlich. [Hannah Arendt, Zur Person, 1964]
Hannah Arendts Muttersprache war Deutsch, und wer ihre Texte gelesen oder ihr Interview Zur Person mit Günter Gaus gesehen hat, weiß, wie sehr sie sich in der deutschen Sprache zu Hause fühlte. Ihre wissenschaftlichen Arbeiten stehen uns heute sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch zur Verfügung, was damit zusammenhängt, dass sie nach ihrer Emigration in die USA an amerikanischen Instituten arbeitete und in englischer Sprache publizierte.
Die heutigen Lesenden der Arendt’schen Werke reflektieren vermutlich nicht, in welcher Sprache Arendt schrieb oder dachte, weil es vordergründig für die Inhalte ihrer politischen Theorien keinen Unterschied zu machen scheint. Doch Arendt selbst maß der deutschen Sprache auch nach ihrer Emigration große Bedeutung zu, weil sie diese weitaus besser als die englische beherrschte, wie sie im Interview mit Günter Gaus 1964 gestand. Arendts Deutsch hat auch in ihrem englischsprachigen Werk Spuren hinterlassen. Es geht hier um die Verwendung des Konjunktivs und vor allem der indirekten Rede in Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen in der Ausgangssprache Englisch sowie in der Übersetzungssprache Deutsch. Die zwar auf Deutsch mitgedachte, aber im Englischen weniger stark gekennzeichnete indirekte Rede Arendts einerseits sowie deren sich anders verhaltende Funktion und Verwendung in der deutschen Übersetzung andererseits hatte vor allem diverse zeitgenössische Lesende zu der Annahme geführt, Hannah Arendt hätte Adolf Eichmanns Verbrechen banalisiert.
Es gibt zudem nicht nur zwischen den beiden Sprachausgaben, sondern auch innerhalb der jeweiligen Texte Unstimmigkeiten, die im Übersetzen begründet liegen: Nicht markierte Stellen zum Modus-Wechsel bzw. Verschiebung der Zeitformen (backshift) zwischen direkter und indirekter Rede zwingen die Lesenden zu entscheiden, ob die Passagen als zitierte oder indirekte Rede des jeweiligen Sprechenden, als direkte Bemerkungen Arendts, als Irrealis oder gar als von der Verfasserin im Erzählduktus verwendete erlebte Rede aufzufassen sind. Daher wäre ein Vergleich der beiden Sprachausgaben, der in der Regel nicht zur Tätigkeit politisch-philosophisch interessierter Lesender gehört, gerade hier interessant, um zu erhellen, wieso Hannah Arendt mit Eichmann in Jerusalem partiell missverstanden wurde.
Arendt verfasste die deutsche Übersetzung nicht selbst, sondern sah Brigitte Granzows Übersetzung persönlich durch und autorisierte diese. Dabei muss ihr entgangen sein, dass diese Fassung zwar an vielen Stellen den Konjunktiv I verwendet, an denen im Englischen keine indirekte Rede erkennbar ist, und der Konjunktiv II gelegentlich irreführend angewendet wurde. Auch findet sich Konjunktiv I innerhalb von Zitaten, man sieht die Ersatzform würde an Stellen, an denen die starke Konjunktiv I-Form angemessen gewesen wäre oder als Resultat eines fehlerhaft aus dem Englischen übernommenen backshift.[1]
Im Deutschen steht zur Unterscheidung von direkter Rede und indirekter Rede immer der Modus des Konjunktivs I zur Verfügung, aber im Englischen bestimmt das Tempus der Inquit-Formel, ob eine Kennzeichnung durch den backshift überhaupt vorzunehmen ist: Hannah Arendt lässt diese Markierungen in ihrer englischen Version von Eichmann in Jerusalem zum Teil aus: Sie zitiert z.B. Staatsanwalt Gideon Hausner im Englischen ohne Inquit-Formel: „he is sick of cross-examining Eichmann who answers all questions with lies“ (Eichmann, englische Version, 40 alle Kursivsetzungen MEP), was den Eindruck hervorruft, sie selbst gelange zu dieser Bewertung. In der deutschen Übersetzung lässt sie jedoch erkennen, dass es sich um ein Zitat oder doch zumindest eine nicht notwendigerweise wörtliche Redewiedergabe handeln muss: „es hinge ihnen zum Hals heraus, Eichmann ins Kreuzverhör zu nehmen, der ja doch auf alle Fragen mit Lügen antworte“ (Eichmann, deutsche Version, 72), wobei hier durch die Verwendung des Konjunktivs II eine Distanz zum Gesagten hergestellt und Zweifel an seiner Richtigkeit indiziert wird. Arendt vergaß auch gelegentlich selbst, den backshift anzuwenden: „ Would he then have pleaded guilty if he had been indicated as an accessory to murder? Perhaps, but he would have made important qualifications.“ (Eichmann, englische Version, 64) Die deutsche Übersetzung lautet: „Ob er sich schuldig bekannt hätte, wenn er der Beihilfe zum Mord angeklagt worden wäre? Vielleicht, doch hätte er wesentliche Einschränkungen gemacht“ (Eichmann, deutsche Version, 97). Anstatt Eichmann zu zitieren, will Arendt zeigen, dass sie versucht, sich an dieser Stelle durch die Verwendung von Konjunktiv II in Adolf Eichmanns Position im Prozess hineinzuversetzen. Diese Technik, bei der durch den Erzählenden die Gedanken einer Figur wiedergegeben werden, bezeichnet man in der Literaturwissenschaft als erlebte Rede. Sie spiegelt die Perspektive des Protagonisten (nicht des Erzählenden) wider und ist unmarkiert, d.h. sie muss aus dem Kontext erschlossen werden. Typisch ist für die erlebte Rede ferner, dass sie nur kurz aufflackert und der Text schnell zum Indikativ zurückschwenkt, so auch bei Arendt: „What he had done was only a crime in retrospective, and he had always been a law-abiding citizen, because Hitler’s orders, which he had certainly executed to the best of his ability had possessed ,the force of law‘ in the Third Reich.“ (Eichmann, englische Version, 64) Dies sind Eichmanns Gedanken, wie Arendt sie sich denkt, und auch Eichmanns Worte; nicht aber Arendts Urteile über Eichmann. Als problematisch erweist sich hier jedoch, dass die aus Eichmanns Perspektive formulierte erlebte Rede, die durch ein backshift gekennzeichnet ist, im Englischen mit dem past perfect identisch ist und somit das, was Arendt als Eichmanns Sinnieren zeigen wollte, missverständlich als ihre eigene Bewertung gelesen werden könnte bzw. so übersetzt worden ist: In der deutschen Übersetzung wird der Satz indikativisch übersetzt, weshalb er nicht mehr als Gedankenspiel interpretierbar ist, und auch nicht als Kommentar Arendts, sondern als Fakt wirkt, den Arendt ihrem Publikum als Fazit zu liefern scheint: „Was er getan hatte, war nur im Nachhinein ein Verbrechen; er war immer ein gesetzestreuer Bürger gewesen, Hitlers Befehle, die er nach bestem Vermögen befolgt hatte, besaßen im Dritten Reich ,Gesetzeskraft‘“ (Eichmann, deutsche Version, 97). Dies wirkt wie Arendts Urteil, denn eine kritische Distanz wird hier durch keinen Konjunktiv markiert. Nahm Arendt (fälschlicherweise) an, dass die Funktion der erlebten Rede im Englischen für jeden und vor allem für ihre Übersetzerin erkennbar wäre? Wieso ließ sie in der deutschen Fassung nicht den Konjunktiv zu, der ihre Distanz zu Eichmann gekennzeichnet hätte? Hier drückt Arendt mit der erlebten Rede bzw. in der doppeldeutigen Interpretationsmöglichkeit des Englischen would, sowohl als Konjunktiv II als auch als simple past-Form zu verstehen, eben keine Distanz zu Eichmanns Aussage aus, sondern lässt fatalerweise zu, dass Eichmanns Denken wie ihre Bewertung klingt.
Mit ihrem Versuch, sich in den Nationalsozialisten Eichmann hineinzuversetzen, wollte sie beweisen, dass dieser zur Empathie unfähig war. Doch ihr Vorhaben, Eichmann lediglich begreifen zu wollen, ohne ihm dabei zuzustimmen, scheitert in Arendts sprachlichen Formulierungen an der fehlenden grammatikalischen Unterscheidung zwischen dem von ihr aus gesehen wertneutralen, reinen gedanklichen Nachvollzug seiner Position und dem Übereinstimmen mit seiner Position.
Ein ähnlicher Fehler unterläuft Arendt bzw. ihrer Übersetzerin am Ende der Prozessdarstellungen, als Eichmann sich selbst nach der Verkündung der Todesstrafe ein letztes Mal verteidigend äußert:
Then came Eichmann’s last statement: His hopes for justice were disappointed: the court had not believed him, though he had always done his best to tell the truth. The court did not understand him: he had never been a Jew-hater, and he had never willed the murder of human beings. His guilt came from his obedience, and obedience is praised as virtue. His virtue had been abused by the Nazi leaders. But he was not one of the ruling clique, he was a victim, and only the leaders deserved punishment.
(Eichmann, englische Version, 347)Dann kam Eichmann: „Wenn ich bitten darf, ein kurzes Schlußwort.“ Seine Hoffnung auf Gerechtigkeit sei enttäuscht; das Gericht habe ihm nicht geglaubt, obwohl er sich stets bemüht habe, die Wahrheit zu sagen. Das Gericht verstünde ihn nicht: er habe nie „zu den Fanatikern der Judenverfolgung gehört“, das sei ein „großer Irrtum“, „die Zeugen haben da eine große Unwahrheit gesagt“; sein „Wille war nicht, Menschen umzubringen“. Seine Schuld war sein Gehorsam, und Gehorsam werde doch als Tugend gepriesen. Seine Tugend sei von den Regierenden mißbraucht worden. Aber er hätte nicht zu der „Führungsschicht“ gehört, er sei vielmehr ihr Opfer, und Bestrafung verdienten nur die Führer.
(Eichmann, deutsche Version 365)
Arendt lässt im englischen Original die Inquit-Formel aus, weil sie Eichmanns Statement, das er auf Deutsch gab und im Gerichtssaal simultan übersetzt wurde, zusammenfasst. Dieser Abschnitt kann, wollte man – wie einige der ihr nicht sonderlich wohlgesinnten Kritiker ihrer Zeit es taten – den Kontext (absichtlich?) nicht ganz genau erfassen, so gelesen werden, als würde Arendt Eichmann verteidigen, weil sie durch das Auslassen der Inquit-Formel sowie den inkonsistenten Gebrauch des backshift erneut keine sprachliche Distanz gegenüber ihrem Sujet aufbaut. Ihr ist daher wiederholt vorgeworfen worden, Eichmann zu verteidigen, wogegen sie sich immer vehement wehrte. In der deutschen Fassung verdeutlicht der Rückgriff auf Anführungszeichen und den Konjunktiv I schon eher eine Distanz. Allerdings bleibt der prägnante Satz „Seine Schuld war sein Gehorsam“ im Indikativ: Ist das Eichmanns oder Arendts Meinung oder gar Eichmanns und Arendts gemeinsame Meinung? Wieso werden Tempus und Modus zwischen Englischem und Deutschem an dieser Stelle verändert? Selbst versierte Lesende beider Sprachen werden bezüglich der Aussageabsicht an dieser Kernstelle des Berichts verwirrt – und auch die Übersetzung stiftet keine Klarheit. Wollte Arendt die Lesenden zwingen, beide Möglichkeiten abzuwägen und sich bewusst für eine der beiden zu entscheiden? Wäre das der Fall, würde Arendt stilistisch umsetzen, was sie inhaltlich konstatiert, nämlich, dass man sich in Eichmann hineinversetzen kann (ohne seine Meinung zu übernehmen), um dessen Unfähigkeit, sich wiederum in andere hineinversetzen zu können, als Schwäche zu entlarven – oder eben als die vielzitierte „Banalität des Bösen“.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass Hannah Arendt in Eichmann in Jerusalem sowohl auf inhaltlicher als auch auf grammatikalischer Ebene provozierte, und ihr Stil, der mit höchst sensiblen Themen wie den Handlungsmöglichkeiten der Judenräte, der Rolle Eichmanns im Holocaust und der Verwendung des Begriffs Banalität kollidiert, wurde u.a. als taktlos empfunden. Arendts Stil zeigt aber auch gerade wegen dieser Abweichungen von etablierten Schreibkonventionen eine Wirkung, weil Arendt damit von den Lesenden verlangt, was sie selbst bereits umsetzt, d.h. lieber durch Nachvollzug und Nach-Denken zu Schlüssen zu gelangen, anstatt unbedacht mit der allgemeinen Meinung konform zu gehen.
Sicher hätte Arendt gut daran getan, ihren Text behutsamer zu formulieren bzw. die Übersetzung genauer zu redigieren, um bei lediglich kursorisch Lesenden Missverständnisse zu vermeiden und insgesamt weniger Entrüstung auszulösen, oder um jenen, die mit Arendts Vermögen, Verstehen und Mitgefühl voneinander aufs schärfste zu trennen, weniger vertraut sind, diese Methode behutsamer nahezubringen. So hätte sie sich zumindest dafür nicht rechtfertigen müssen. Aber würden wir dann heute Arendts Schriften und vor allem den Eichmann-Text lesen, interpretieren, diskutieren und durch den intellektuellen Nachvollzug ihres komplexen Denkens das eigene Verstehen, den eigenen Gebrauch des Konjunktivs und die Macht von Sprache und Stil reflektieren?
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Arendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem. A Report on the Banality of Evil. Introduction by Amos Elon. New York: Penguin 1963/2006.
Arendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. Übersetzt von Brigitte Granzow. Mit einem einleitenden Essay und einem Nachwort zur aktuellen Ausgabe von Hans Mommsen. München: Pieper 1964/2015.
Mona Eikel-Pohen studierte Englisch und Deutsch an der Ruhr-Universität Bochum und arbeitete als Gymnasiallehrerin in Deutschland und den USA. Sie wurde zum Thema der amerikanischen Übersetzung von Uwe Johnsons Jahrestagen promoviert und lebt in den USA, wo sie als Lecturer an der Syracuse University Deutsch als Fremdsprache unterrichtet.
[1] Möglicherweise hängen diese Unachtsamkeiten damit zusammen, dass es für die Übersetzerin unmöglich war zu unterscheiden, welche Textstellen wörtliche Zitate oder hebräische und englische (Simultan-) Übersetzungen aus dem Gerichtssaal und welche davon Zusammenfassungen der Autorin oder schriftliche Prozessunterlagen waren.