Übersetzer sollen sich nicht in frevelhafter Selbsterhöhung zum Autor aufschwingen, dies ist wohl einer der bekanntesten Allgemeinplätze im Diskurs über die Qualität von literarischen Übersetzungen. Besonders häufig und in zugespitzter Form begegnet man diesem Vorwurf da, wo Dichter Dichter übersetzen und eine Übersetzungssprache schaffen, die die Nähe zur eigenen poetischen Sprache nicht verleugnen kann. Claus
Telge löst sich in seiner Dissertation zu den Gedichtübersetzungen Erich Arendts (1903–1984) und Hans Magnus Enzensbergers (*1929) konsequent von dieser verbreiteten normativen Sicht und spricht daher von „Autor-Übersetzern“. Nicht übersetzerische Treue interessiert ihn, sondern das Netz an Intertexten, das sich hier in besonderer Weise
entspinnt.
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Jean-René Ladmiral, der sich selbst als „letzten Überlebenden eines längst vergangenen, vordigitalen Erdzeitalters der Übersetzung“ sieht, gehört zu den Gründungsvätern der institutionalisierten Übersetzungswissenschaft in Frankreich. Der Band Sourcier ou cibliste (2014) versammelt Beiträge des Autors aus mehr als drei Jahrzehnten, die bislang zum Teil nur schwer auffindbar waren: die Bilanz eines leidenschaftlichen Kämpfers, der ein Übersetzen für die Leser fordert – scharf im Urteil gegen die Sakralisierung und Fetischisierung von literarischen Texten.
Modalpartikeln, Dialogstrukturpartikeln, Abweichungen in Syntax oder Präpositionsgebrauch, aber auch Dialekte, Archaismen, Mischsprachen und Slang: Der von zwei renommierten Literaturübersetzerinnen herausgegebene Sammelband rückt in sprachhistorischer Perspektive jene kleinen Details ins Licht, die Philologen in früherer Zeit häufig als Regelverstöße verpönten, Übersetzer jedoch oft tagelang umtreiben.
Für Minderheitensprachen verbindet sich mit der Frage der Übersetzung ein besonderes Problem, nämlich die Frage nach der Identität und dem Überleben der Sprache selbst. Vier Übersetzungswissenschaftlerinnen aus Galicien widmen sich der Frage, wie die Literatur ihrer Region ins Ausland exportiert wird und welche Wirkung dies wiederum auf das Selbstverständnis der Galicier mit Blick auf ihre Sprache und Identität hat. Denn hier geht es um weit mehr als einen gleichberechtigten Austausch zwischen den Kulturen.
In seinen Entwicklungslinien der Translationswissenschaft stellt Erich Prunč die etappenreiche Genese der Translationswissenschaft von einer Interdisziplin bis hin zum heute eigenständigen Fach dar. Hierbei kommt er durch seine klare Darstellungsart der breiten Leserschaft entgegen, ohne jedoch die Bedürfnisse des erfahrenen Studiosus im Geringsten unbefriedigt zu lassen, für den das Werk ein Wissensschatz ist. Trotz weniger Schönheitsfehler gelingt Prunč in seinem Einführungswerk die wesentliche Verbindung von Wissenschaft und Populärmedium, denn Translation als Politikum geht jeden etwas an.
Wie spannend können Tragödien aus dem 17. Jahrhundert für einen heutigen Leser sein? Haben uns die tragédies classiques und ihre Übersetzungen im Zeitalter von Twitter & Co. überhaupt noch etwas zu sagen? Alexander Nebrig stellt in seiner Studie anhand zweier Übersetzungswellen die literaturgeschichtlichen Unterschiede deutscher Racine-Übersetzungen vor und veranschaulicht damit gleichzeitig die noch heute faszinierenden philologisch-rhetorischen Mittel des französischen Bühnenklassikers.
Der Titel Poétique du récit traduit verspricht viel, vielleicht zu viel. Beim Leser weckt er die Erwartung, mit dem 2008 bei Minard erschienenen Buch von Geneviève Roux-Faucard liege nun endlich die (bislang noch fehlende) Theorie der übersetzten Erzählung vor. Zweifellos eröffnet es einen ganz neuen, sehr präzisen und bisweilen desillusionierenden Blick auf übersetzte Erzählliteratur. Anhand zahlreicher Textbeispiele aus übersetzten Erzählungen von Cervantes über Puschkin bis hin zu Kafka und Virginia Woolf belegt die Autorin, wie stark sich Erzähler und Erzähltes durch den Übersetzungsprozess verändern (können) und welche Konsequenzen dies für die Rezeption der Erzählung hat.
Neue Impulse für die Übersetzungswissenschaft ergeben sich durch eine Perspektivenerweiterung in Richtung moderner geisteswissenschaftlicher Forschungspraxis, wie sie Marcus Beiner in seiner Neuerscheinung beschreibt. Ein historisch reflektierter, dialogischer Umgang mit Fragen des Übersetzens in ihrer spezifischen Perspektivität stellt dort eine wertvolle Ergänzung zu rein empirischen Untersuchungen dar, wo es um die Begründung von Übersetzungskompetenz geht.