Buchcover Der schnellfüßige Achilles – zu schnellhändig übersetzt
Nina Restemeier über Der schnellfüßige Achilles von Stefano Benni, aus dem Italienischen übersetzt von Moshe Kahn

Welch eine Herausforderung für einen Übersetzer! In Stefano Bennis aktuell in Deutschland erschienenem Roman vereinen sich höchster poetischer Stil mit breitester italienischer Umgangssprache, für den Autor typische Wortneuschöpfungen mit unzähligen literarischen Zitaten und Anspielungen, Absurdes mit Alltäglichem, eine rührende Geschichte mit beißender Gesellschaftskritik.

Vom Verlag im Klappentext ungerechtfertigt auf „die Geschichte einer großen Freundschaft unter extremen Bedingungen“ reduziert, ist Der schnellfüßige Achilles vielmehr eine Momentaufnahme des heutigen Italien jenseits aller Urlaubsklischees, eine Fundgrube voller alltäglicher Kleinigkeiten, die wie beiläufig in den Text eingestreut sind und jedem, der schon einmal längere Zeit in Italien verbracht hat, bekannt vorkommen dürften. Den Kontrast zur Beschreibung von überfüllten Bussen, den italienischen Medien, streikenden Arbeitern und bissigen Kommentaren über den „Duce“ (auch wenn er nie beim Namen genannt wird, handelt es sich hier eindeutig nicht um Mussolini) bilden die absurden Traumsequenzen und die literarischen Kreationen der Hauptfiguren Ulysses und Achilles.

Ulysses ist Lektor in einem kleinen Verlag und leidet an der „Bäckerkrankheit“, die ihn nachts mit ruhelosen Arbeitsanfällen heimsucht, während derer er für seinen Vorgesetzten Manuskripte bzw. „Skriptmanuse“ liest (eine den Wortwitz nicht ganz treffende Übersetzung für Bennis „Scrittodattili“, deren Assoziation mit gewissen Dinosauriern (pterodattili) im Deutschen leider verloren geht). Tagsüber fällt Ulysses oft unvermittelt in Schlaf – ein weiteres Symptom seiner Krankheit – und die Autoren der oftmals haarsträubenden Machwerke verfolgen ihn bis in seine Träume.

Achilles ist hochintelligent, seit seiner Geburt an den Rollstuhl gefesselt und lebt abgeschottet von der Außenwelt in einem abgedunkelten Zimmer, da jede Veränderung seiner Umgebung bei ihm eine fatale Nervenkrise auslösen könnte. Achilles versucht sich als Schriftsteller und dazu braucht er die Hilfe von Ulysses, der ihm von der Welt draußen, vor allem aber von seiner Freundin Pilar erzählen soll, denn Achilles’ Buch soll eine Liebesgeschichte werden. So reihen sich Episoden aus Ulysses’ Leben aneinander, gefolgt von Auszügen aus Achilles’ Buch, die meist eine eigenwillige Interpretation des zuvor Gehörten darstellen und deren verschroben-poetischen Stil der Übersetzer Moshe Kahn souverän ins Deutsche transportiert:

Du gehst mit offenen Augen. Du siehst die Erde wie einen großen Flughafen, der im Raum schwebt, voller Menschen, die ankommen und abfahren. Nichts steht auf dem Ticket geschrieben, daher kann sich jeder seinen Flug vorstellen. Einer glaubt, dass dieser Flughafen eine Zwischenstation sei, doch nicht das ist der Grund, weshalb er zur Abfertigung eilt. Ein anderer denkt, dass sein Flug der letzte sei, und trotzdem hat er die Koffer vollgepackt, Stapel von Koffern, da hinein hat er auch Dinge gesteckt, die er anderen gestohlen hat, die für andere bestimmt sind, auch das Zuviel und das Nutzlose. Irgend jemand betet für einen Streik, jemand anderer steckt Bomben in Flugzeuge, und so kommt er eher an.

Leider wird in der Übersetzung der stilistische Kontrast zum Buch im Buch weniger deutlich als im Original: Zu verschroben wirkt auch der Stil der Rahmenhandlung, zu schwerfällig klingt, was eigentlich Umgangssprache sein soll. So wird die questura mit dem veralteten deutschen Begriff „Quästur“ wiedergegeben. Dabei handelt es sich jedoch um eine typisch italienische Institution, die neben dem Polizeipräsidium auch das Einwohnermeldeamt und die Einwanderungsbehörde darstellt. Hier hätte man den italienischen Begriff beibehalten oder aber ihn in der Übersetzung auf eine Einwanderungsbehörde reduzieren können, da nur diese spezielle Funktion für die Geschichte eine Rolle spielt. Mit der Wortwahl des Übersetzers bekommt der Text hier eine historisierende Note, die aus dem Original nicht hervorgeht.

Das Problem des ‚Eindeutschens‘ von italienischen Ausdrücken tritt an anderen Stellen noch deutlicher zutage. So summt Achilles eine „Kanzone“ und kein ‚Lied‘ und „palestroide“ – Stefano Bennis Ausdruck für einen muskelbepackten Türsteher – wird schlicht und einfach zu „palästroid“. Dieses Wortspiel versteht allerdings nur, wer das italienische Wort für Fitnessstudio, palestra, kennt. Ein Vaffanculo!, das einem Italiener ebenso leicht über die Lippen geht wie einem Deutschen ein ‚Leck mich!‘, wird außerdem allzu umständlich mit „Lass dich doch in den Arsch ficken!“ wiedergegeben. Mehr als einmal werden darüber hinaus Pronomen übersehen oder falsch zugeordnet, was zu inhaltlichen Verschiebungen führt. Zudem finden sich Beispiele für handfeste Falschübersetzungen: Fragen mit ‚sollen‘ werden im Italienischen ohne Modalverb ausgedrückt; wenn Ulysses also fragt Vado avanti?, ist damit ‚Soll ich weitererzählen?‘ gemeint und nicht, wie es in der deutschen Übersetzung zweifelnd heißt: „Erzähl’ ich weiter?“ Se fossi in te bedeutet nichts anderes als ‚Ich an deiner Stelle‘ oder ‚Wenn ich du wäre‘, Moshe Kahn jedoch übersetzt „Wenn ich in dir wäre“ und gibt dem Ganzen damit einen ungewollt komischen Unterton. Und wenn Ulysses „unter dem Regen“ statt ‚durch den Regen‘ läuft, erkennt man ohne Mühe die italienische Formulierung sotto la pioggia wieder.

Zusätzlich wirkt sich der inkonsequente Umgang mit italienischen Originalausdrücken störend auf den Leseeindruck aus: Valerio, Ulysses’ Vorgesetzter, beginnt auch in der Übersetzung jeden zweiten Satz mit „cazzo“. Vermutlich möchte der Übersetzer hier italienisches Lokalkolorit beibehalten; da jedoch die inflationäre Verwendung des Fluchens als Charakterisierung Valerios bereits genügt, hätte es auch das deutsche ‚Scheiße‘ getan. Achilles bedankt sich bei seiner Mutter mit einem „Grazie, Mamma“ während an anderen Stellen „Danke“ gesagt wird, und die Namen der Videospiele, mit denen Valerio seine Nächte verbringt, werden teils übersetzt, an anderer Stelle aber übernommen, wodurch leider der Wiedererkennungseffekt und ein Großteil der Situationskomik verloren gehen.

Insgesamt macht die Übersetzung einen recht unausgegorenen Eindruck und wird dem Original wenig gerecht. Das ist schade. Achille Piè Veloce ist ein Buch, das sich zu lesen lohnt. Der schnellfüßige Achilles leider nicht.

Stefano Benni: Der schnellfüßige Achilles, aus dem Italienischen übersetzt von Moshe Kahn. Berlin: Wagenbach 2006, 272 Seiten

Stefano Benni: Achille Piè Veloce. Mailand: Feltrinelli 2003, 240 Seiten

Stefano Benni, geboren 1947 in Bologna, gehört zu den erfolgreichsten Schriftstellern Italiens. Seit seiner ersten Gedichtsammlung aus dem Jahr 1981 Prima o poi l’amore arriva veröffentlichte er über 20 Bücher, darunter Romane, Erzählungen und Theaterstücke. Seine Werke werden in über 20 Sprachen übersetzt. Stefano Bennis offizielle Homepage: www.stefanobenni.it

Moshe Kahn wurde 1942 in Deutschland geboren. In den Sechzigerjahren lebte und arbeitete er einige Zeit in Italien. Er übersetzt sowohl aus dem Englischen als auch aus dem Französischen, hauptsächlich jedoch aus dem Italienischen. Neben berühmten Schriftstellern wie Primo Levi, Pier Paolo Pasolini oder Dacia Maraini übersetzte er in letzter Zeit zahlreiche Romane des Sizilianers Andrea Camilleri.