Editorial Ausgabe 15
von Silke Pfeiffer

Liebe Leserinnen und Leser!

welche Chancen würden Sie einer Beziehung beimessen, in der einer der Partner ein echtes Original ist, ewig jung und spritzig, während der andere, nennen wir ihn Übersetzung, mit den Jahren ziemlich alt aussieht? So manche Liebe mag über derlei erhaben sein. Aber wenn sich Original und Übersetzung nach langer Zeit Seite an Seite auseinandergelebt und nichts mehr zu sagen haben, hilft meistens nur noch dies: eine Neuübersetzung muss her. In der 15. Ausgabe von ReLü kommen Neuübersetzer zu Wort und Neuübersetzungen auf den Prüfstand.

Eine Literaturübersetzung, die Fernsehgeschichte schrieb: Über die Gefährliche Geliebte des Japaners Haruki Murakami zerstritt sich einst das Literarische Quartett. Elisabeth Scherer besieht sich Ursula Gräfes Neuübersetzung des Romans, die im letzten Jahr unter dem Titel Südlich der Grenze, westlich der Sonne erstmalig als Übersetzung direkt aus dem Japanischen erschienen ist. An der Ausgangssprache von Nick Hornbys Fußballroman Fever Pitch hat sich nichts geändert, die Zielsprache dagegen ist erst nach Ingo Herzkes Neuübersetzung so richtig am Ball. Im Interview mit Nicole Selmer schildert der Fußballfan (der Königsblauen) und Literaturübersetzer (der Königsklasse), wie er Hornbys Erstling ins (Fußball-)Deutsche übertragen hat.

Auch für Holden Caulfield, die Hauptfigur in Jerome D. Salingers Roman Der Fänger im Roggen, hat sich mit Eike Schönfelds Neuübersetzung zwischen den Buchdeckeln einiges getan, sprachtechnisch und so. David Schahinian vergleicht Irene Muehlons und Heinrich Bölls Übersetzungen von 1954 beziehungsweise 1962 mit Schönfelds Version von 2003. Bärbel Flad gehört zur Geschichte des deutschen Fänger im Roggen wie die rote Mütze auf Holdens Kopf. In ihrer Lehrzeit bei Kiepenheuer & Witsch tippte sie Heinrich Bölls Übersetzung ins Reine, bei Schönfelds Neuübersetzung war sie die betreuende Lektorin im Kölner Verlag. Im Interview mit Vera Elisabeth Gerling und Silke Pfeiffer spricht Bärbel Flad über Neuübersetzungen, Neuübersetzer und gänzlich neue Erfahrungen beim Lektorieren von Schwedenkrimis.

Von den modernen Klassikern zu drei Klassikern der Weltliteratur in neuem Gewand: Don Quijote und Sancho Panza sind die allseits bekannten Helden in Miguel de Cervantes‘ zweibändigem Romanwerk; doch es gibt, wie Susanne Lange bei ihrer Neuübersetzung von Don Quijote ausmachte, in diesem Bunde einen Dritten: die Sprache. Im Interview mit New Spanish Books erzählt sie von ihrer sechsjährigen Entdeckungsreise durch den deutschen Sprachschatz. Bernd-Jürgen Fischer arbeitete ganze zehn Jahre lang an seiner Neuübersetzung von Marcel Prousts Romanzyklus Auf der Suche nach der verlorenen Zeit – und weiß nun in seinem Werkstattbericht von Recherchen in Kunstgeschichtsbänden, etymologischen Wörterbüchern und Eckkneipen zu erzählen. Was dagegen Humbert Humbert in Vladimir Nabokovs Roman Lolita zum Besten gibt, ist von zweifellos zweifelhaftem Gepräge: „Man ist sich durchaus bewusst, dass Humbert hier und da oder von Anfang bis Ende lügen könnte“, erklärt Dieter E. Zimmer, der die deutsche Lolita mehrmals überarbeitet hat, im Interview mit Andrea Schmittmann.

Viel Freude beim Entdecken neuer Facetten des Übersetzens in der 15. Ausgabe der ReLü wünscht

Silke Pfeiffer

für die ReLü-Redaktion

> zurück zur Übersicht