Buchcover Die Macht der Worte
Daniela Eltrop über Die Bücherdiebin von Markus Zusak, aus dem australischen Englisch übersetzt von Alexandra Ernst

„Ihr werdet sterben.“ Mit dieser offenen Drohung beginnt der Tod seine Erzählung über die Bücherdiebin. Doch schrecken Sie jetzt nicht zurück, sondern lesen Sie weiter, denn schnell beschwichtigt er: „Bitte bleibt ruhig, trotz dieser offenkundigen Drohung. Ich tue nur so. Ich bin nicht gewalttätig. Ich bin nicht bösartig. Ich bin das Ergebnis.“ In Markus Zusaks Roman Die Bücherdiebin – ein Jugendroman auch für Erwachsene – übernimmt der Tod höchstpersönlich die Rolle des Erzählers, da ihm die Geschichte der jungen Liesel Memminger so sehr am Herzen liegt. Ja tatsächlich: Der Tod hat ein Herz und zeigt sich menschlicher als so mancher Mensch.

Deutschland 1939. Der Tod begegnet Liesel zum ersten Mal, als sie neun Jahre alt ist und auf dem Weg zu neuen Pflegeeltern ihren Bruder verliert. Der Tod spürt sofort, dass Liesel etwas Besonderes ist und entschließt sich deshalb, ihre Geschichte zu erzählen. Nach Liesels erster Begegnung mit dem Tod lebt sie in einem kleinen Ort bei München, findet in dem Nachbarsjungen Rudi schnell einen echten Freund und erlebt in der unruhigen Kriegszeit die kleinen und großen Abenteuer des Erwachsenwerdens. Liesels Liebe zu Büchern erwacht, als sie am Tag der Beerdigung ihres Bruders zum ersten Mal ein Buch stiehlt. Zwar handelt es sich nur um ein Handbuch für Totengräber und Liesel kann nicht einmal lesen, aber das Buch bedeutet ihr viel, weil es sie mit ihrem Bruder verbindet. Da Liesel nachts oft nicht schlafen kann, nutzt sie unter der Regie ihres liebevollen Pflegevaters diese Zeit, um lesen zu lernen. Das nächste Buch stiehlt sie etwa ein Jahr später während einer Bücherverbrennung direkt aus dem Feuer. Liesels Hunger nach neuem Lesestoff wird immer größer. Langsam begreift sie die Macht der Worte, die sie nicht nur verzaubern, sondern die aus dem Mund Hitlers sogar zu einem Weltkrieg geführt haben. Als die Gefechte in die letzte Phase gehen, begeben sich Liesel und ihre Pflegeeltern noch zusätzlich in große Gefahr, weil sie den Juden Max bei sich im Keller verstecken. Dieser wächst Liesel sehr ans Herz und er schenkt ihr zwei von ihm geschriebene und illustrierte Bücher, die zu ihrem wertvollsten Besitz werden. Als Max fliehen muss und ihr Pflegevater in den Krieg geschickt wird, halten nur die Bücher Liesel aufrecht und retten ihr bald darauf auch das Leben.

Die Übertragung des Romans aus dem Englischen gestaltet sich in vielerlei Hinsicht schwierig. Zusaks Bücherdiebin liest sich teilweise so, als handele es sich bereits um eine Übersetzung, denn der Autor setzt viele deutsche Wörter und sogar bayerische Begriffe ein. Diese übersetzt er für den englischsprachigen Leser, erklärt ihre Bedeutung und erläutert manchmal sogar ihre Aussprache. Deshalb kann die Übersetzerin Alexandra Ernst oftmals ganze Absätze in ihrer Übersetzung auslassen. An einigen Stellen ‚verbessert‘ sie den Autor sogar, wie beispielsweise bei deutschen Namen: sie ändert Zusaks Rudy zu einem deutschen Rudi ab, Wolfal zu Wolferl (die bayerische Kurzform für Wolfgang) und die Grande Strasse wird zur Großen Straße. Es bleibt unklar, ob sich diese kleinen Unstimmigkeiten auf Zusaks doch unzureichende Deutsch- respektive Bayerischkenntnisse zurückführen lassen, oder ob er sich aufgrund der Lesbarkeit für englische Leser so entschieden hat. Nicht nachzuvollziehen ist allerdings, warum Alexandra Ernst in ihrer Übersetzung den Namen der Ladenbesitzerin Frau Diller geändert hat, die dort Frau Lindner heißt.

Besondere Schwierigkeiten ergeben sich durch Zusaks Wortspiele, bei denen er deutsche Wörter in englische Sätze einbaut. Er zeigt dem englischsprachigen Leser so ganz deutlich, dass die Geschichte in einem fremdsprachigen Land spielt. Ernst kann die Sprachspiele in dieser Form nicht in ihre Übersetzung übernehmen, versucht jedoch an einigen Stellen ähnlich kreativ zu sein: „He had been führered“ („Er war geführert worden“). Hier setzt sie wie der Autor einen Neologismus ein, die Sprachmischung aus Deutsch und Englisch kann aber nicht wiedergegeben werden. An anderen Stellen verzichtet sie gänzlich auf originelle Lösungen und übersetzt nur inhaltlich, wie zum Beispiel „Papa was schmunzelling“ („Papa schmunzelte“) oder „She never neglected to spuck on the door“ („Sie versäumte es nie, gegen die Tür zu spucken“). Eine weitere übersetzerische Herausforderung stellen Zusaks Neologismen dar, wie bei „Snowflakes of ash fell lovelily“. Ernst übersetzt hier nur sinngemäß, hebt den Satz aber durch eine Alliteration stilistisch hervor: „Schneeflocken aus Asche segelten lieblich lilienfarben durch die Luft“. An anderen Stellen gelingt ihr dies nicht, und sie beschränkt sich in ihrer Übersetzung nur auf die inhaltliche Ebene: „his thereness“ („sein Dasein“) oder „caughtoutedness“ („auf die Schliche kommen“).

Insgesamt ist die Übersetzung sehr gelungen, da die Übersetzerin die Stimmung und die sprachlichen Besonderheiten des Originals erfasst und übertragen hat. So zeichnet sie genauso stimmungsvolle Bilder wie Zusak und lässt den Tod mal lyrisch und zart über Liesel, mal hart und schonungslos über seine ‚Arbeit‘ zum Leser sprechen. Hier zeigt sich, wie fruchtbar die Zusammenarbeit zwischen Autor und Übersetzerin sein kann, denn beide kooperierten schon bei Zusaks Roman Der Joker, für den beide (!) mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2007 ausgezeichnet wurden.

Die Bücherdiebin erscheint sowohl im Jugendbuchverlag cbj als auch bei blanvalet, die beide zur Verlagsgruppe Random House gehören. Dieses Vorgehen ist in englischsprachigen Ländern durchaus üblich, stellt in Deutschland aber noch eher einen Einzelfall dar. Bei diesem Roman ist es aber vollkommen nachvollziehbar, denn er vermag junge Menschen durch Liesels Geschichte und Erwachsene auch über die kunstvolle Sprache anzusprechen.

Markus Zusaks Roman ist mehr als eine einfache Erzählung über das Nazi-Regime und den Zweiten Weltkrieg, denn auch wenn er von Zusaks deutschstämmigen Eltern und deren Erlebnissen inspiriert wurde, bilden diese Umstände nur den Rahmen für die berührende und gefühlvolle Erzählung über ein Mädchen, das Worte liebt. Die Geschichte ist zwar schlicht, wird aber durch Zusaks Kunstgriff, den Tod als hingebungsvollen Erzähler einzusetzen, sowie durch die wunderschöne Erzählweise und die liebevoll ausgearbeiteten Figuren zu einer Lektüre, die Jung und Alt berührt und zum Nachdenken anregt. Durch das spürbare Einfühlungsvermögen von Alexandra Ernst werden die Leser der Übersetzung am Ende genauso betroffen sein wie die Leser des Originals.

Markus Zusak: Die Bücherdiebin, aus dem Englischen übersetzt von Alexandra Ernst, München: cbj/blanvalet 2008, 586 Seiten

Markus Zusak: The Book Thief, Picador 2005, 550 Seiten

Markus Zusak wurde 1975 in Sydney als Sohn deutsch-österreichischer Eltern geboren. Er schlug sich zunächst als Hausmeister und Englischlehrer an einer Highschool durch, bevor er 1999 mit seinem ersten Roman The Underdog in Australien den Durchbruch schaffte. In Deutschland machte er zum ersten Mal mit dem 2005 erschienenen Buch Der Vorstadt-Fighter von sich reden. Ein Jahr später wurde sein Roman Der Joker veröffentlicht, der mehrfach ausgezeichnet wurde, u.a. mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis.

Alexandra Ernst wurde 1965 in Wiesbaden geboren und studierte zunächst Literaturwissenschaften und Amerikanistik. Sie arbeitete als Lektorin für die Fachzeitschrift Eselsohr und als Presseleiterin eines Verlages. Seit 2000 übersetzt sie historische Romane und insbesondere Jugendliteratur aus dem Englischen. Der Roman Die Bücherdiebin ist bereits ihre zweite Zusammenarbeit mit dem Autor Markus Zusak.