Buchcover Vivere ut edas – Leben um zu essen
Christina Rohe über Robinsons Überlegungen angesichts einer Kiste Stockfisch von Manuel Vázquez Montalbán, aus dem Spanischen übersetzt von Michael Hofmann

„Glücklicherweise entdeckte ich auf der Insel keine Känguruhs. Dadurch ersparte ich mir das moralische Dilemma, ob ich sie essen sollte oder nicht, ebenso wie ich mir dadurch, dass ich nicht Papst wurde, das Dilemma ersparte, bei Gott vergebens um Gehör zu bitten und so meine Vermutungen, dass es ihn nicht gibt, bestätigt zu sehen.“ Um die Frage, was man alles essen kann und was dies mit Glauben zu tun hat, geht es in Robinsons Überlegungen angesichts einer Kiste Stockfisch von Manuel Vázquez Montalbán.

Diese kuriose Robinsonade steht im Zeichen des Vorhabens, den bacalao, zu deutsch Klippfisch oder Stockfisch (was nicht das gleiche ist), aus seinem Schattendasein hervorzuholen und ins rechte kulinarische Licht zu rücken. Bacalao al pil pil, Brandade oder Zurrukutuna … die zahlreichen bacalao-Rezepte sind Teil der ebenso bizarren wie schnörkellosen Geschichte um einen Weihbischof, der bei dem Versuch einer Weltumrundung als Einhandsegler Schiffbruch erleidet und sich auf eine „dummerweise verlassene Insel“ irgendwo in der Karibik retten kann. Der Weihbischof entpuppt sich mit seinen sehnsüchtigen Erinnerungen an verflossene Geliebte und vergangene Gaumenfreuden sowie den unverblümt geäußerten Vermutungen, dass es Gott gar nicht gebe, als gar nicht so bischöflich, sinniert unablässig über die großen Schiffbrüchigen der Weltliteratur und stößt schließlich am Strand auf den heimlichen Helden des Buches: den bacalao oder gadus morrhua, eingesalzen und getrocknet, in Erwartung der Wiederauferstehung des Fleisches in einer Speise.

Doch man kann nicht nur gedanklich in kulinarischen Köstlichkeiten schwelgen, das Lesen bereitet auch ansonsten Freude. Dem Übersetzer Michael Hofmann ist es gelungen, diesen kurzen, aber komplizierten Text in einer ausgezeichneten Übersetzung zu präsentieren und auch der deutschen Fassung Esprit und Witz des Originals zu verleihen.

Die Herausforderung liegt zum einen in der Thematik des Textes: Der Protagonist ist ein Mann der Kirche und zugleich ein Gourmet, der munter mit Fachausdrücken aus Theologie und Kochkunst jongliert, zuweilen auch mit beidem gleichzeitig, was Hofmann etwa in dem herrlich skurrilen Gebot aufgreift: „Du sollst nicht schlechte Glukide und Lipide vermengen.“ Zum anderen strotzt die Erzählung vor Zitaten, Sprichwörtern und Lebensweisheiten, die aus den unterschiedlichsten Sprachen stammen, darunter zahlreiche aus dem Lateinischen. Letztere behält Hofmann in der Originalsprache bei, da sie dem Ausgangstext wie auch der Übersetzung jenen wissenschaftlichen Ernst verleihen, der bei der Beschäftigung mit einem so wichtigen Thema wie der Kochkunst angemessen ist. Bei anderen fremdsprachigen Redensarten sowie auch bei Buchtiteln recherchiert er sorgfältig die deutschen Fassungen und beschert dem Leser dadurch so manchen Wiedererkennungseffekt. So wird etwa aus Feuerbachs „El hombre es lo que come“ wieder das bekannte „Der Mensch ist, was er isst“. Aber im Erinnerungsschatz des Weihbischofs finden sich nicht nur Lebensweisheiten, sondern es tummeln sich dort auch zahlreiche reale Persönlichkeiten, z. B. die Gourmetköche Paul Bocuse, Joël Robuchon und Fredy Girardet, der spanische Wissenschaftler und Philosoph Faustino Cordón und natürlich die Urheber der zahlreichen Zitate. Nicht alle Namen dürften dem Leser geläufig sein, aber zumeist schafft der Kontext Klarheit, ohne dass Erläuterungen in die Übersetzung eingefügt werden müssten.

Im Original finden sich auch einige Passagen gebundener Sprache, Gedichte aus der Feder des Weihbischofs, wie beispielsweise die „Ode an die Wiederauferstehung des Fleisches des gadus morrhua“. Hofmann bemüht sich um eine möglichst wörtliche Übersetzung dieser Textstellen, bei einem karibischen Tanzlied lässt er gar den spanischen Text stehen und fügt ihm nur in Klammern die Übersetzung bei – eine durchdachte Entscheidung, denn wenn man es recht bedenkt, klänge die deutsche Fassung aus dem Munde der feiernden Einheimischen ein wenig merkwürdig, auch wenn sie für sich genommen durchaus gelungen ist. Hier ist das Bemühen zu erkennen, dem Leser deutlich zu machen, dass er eine Übersetzung liest, und ihn die Fremdheit des Textes spüren zu lassen, was sich übrigens auch daran zeigt, dass die Namen der kulinarischen Köstlichkeiten in ihrer Originalsprache beibehalten werden – sei es Spanisch, Französisch, Portugiesisch, Italienisch oder gar Baskisch. Übersetzt werden allerdings die Namen der zwölf vom Weihbischof ersonnenen Rohkostgerichte, damit der Leser diese ausgefeilten Gaumenfreuden ohne Sprachbarriere genießen kann: „Klippfisch-Ceviche mit Limettensaft und Pfeffer“, „Eiershake mit Krustentieren und Ingwer“ oder gar „Kalte Schmetterlingslarvensuppe mit getrockneter, mittels poliertem Gestein zermörserter Ameise“ – oder vielleicht doch lieber ordinärer „Fruchtsalat mit Kokosmilch“?

Im Gedächtnis bleibt dem Leser ein hübsches kleines Stück Literatur voll skurrilem Humor und überraschenden Gedanken-Salti – und das Wissen, dass es sich bei Klippfisch um gesalzenen und getrockneten Kabeljau handelt, wohingegen Stockfisch nur getrocknet wird. Reisen bildet bekanntlich – das Lesen guter Übersetzungen auch!

Manuel Vázquez Montalbán: Robinsons Überlegungen angesichts einer Kiste Stockfisch, aus dem Spanischen übersetzt von Michael Hofmann. Berlin: Wagenbach 2006. 90 Seiten

Manuel Vázquez Montalbán: Reflexiones de Robinsón ante un bacalao. Barcelona: Lumen 1995, 206 Seiten

Manuel Vázquez Montalbán (1939–2003) gilt als einer der wichtigsten spanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Während und nach der Franco-Diktatur schrieb er zahlreiche Romane, aber auch Gedichte, Theaterstücke, Essays und journalistische Texte. Seine Kriminalromane um den Privatdetektiv Pepe Carvalho machten ihn international berühmt und wurden in viele Sprachen übersetzt.

Michael Hofmann hat zahlreiche Bücher aus dem Spanischen ins Deutsche übersetzt, darunter Los misterios de Madrid von Antonio Muñoz Molina (Die Geheimnisse von Madrid, 1995) und Nunca le des la mano a un pistolero zurdo von Benjamín Prado (Der linkshändige Revolverheld, 1998). Er starb sehr früh und unerwartet, kurz nach der Übersetzung von Reflexiones de Robinsón ante un bacalao.