Buchcover Blutiger Schlachthausschlamm argentinischer Romantik
Claudia Ballhause über ihre Erstübersetzung von Esteban Echeverrías argentinischer Erzählung El Matadero ins Deutsche

In den blutigen Schlachthausschlamm von Buenos Aires führt der argentinische Romantiker Esteban Echeverría den Leser in seiner Erzählung El Matadero (1830, veröffentlicht 1871). Hinter den ausschweifenden Beschreibungen eines sintflutartigen Hochwassers in der argentinischen Hauptstadt, der durch die Fastenzeit provozierten Fleischeslust der Bewohner, dem barbarischen Abschlachten von 50 Rindern und der versuchten Vergewaltigung und Hinrichtung eines jungen Unitariers durch die Föderalisten am Ende der Geschichte, verbirgt sich ein politischer Konflikt der damaligen Zeit: die Diktatur des Föderalisten Manuel de Rosas und der Widerstand der zahlenmäßig unterlegenen und unterdrückten Unitarier gegen Rosas Herrschaft. Echeverría als überzeugter Unitarier mit europäischen Idealen nutzt das Bild des Schlachthofes, um auf kleinem Raum die Vorgänge in seinem Land zu beschreiben: Föderalistische Schlächter vernichten alles, was anders ist und anders denkt, mit den brutalen Mitteln, die eine Diktatur ermöglicht – und das Volk sieht begeistert zu.

Die Anfertigung der ersten Übersetzung ins Deutsche (Der Schlachthof) dieses etwa zwanzigseitigen Gründungstextes der argentinischen Romantik ist in mancherlei Hinsicht schwierig, wenn auch zugleich faszinierend.[1] Mit Problemen auf lexikalischer Ebene ist bei dem Text eines argentinischen Romantikers aus dem 19. Jahrhundert zu rechnen. Dazu kommen viele Begriffe aus dem lunfardo, einer Varietät des Spanischen, die häufig als Vorstadtjargon oder Gaunersprache von Buenos Aires bezeichnet wurde, oder dem Lebensbereich der Gauchos. Man betrachte exemplarisch etwa folgenden Textausschnitt:

La figura más prominente de cada grupo era el carnicero con el cuchillo en mano, brazo y pecho desnudo, cabello largo y revuelto, camisa y chiripá y rostro embadurnado de sangre. A sus espaldas se rebullían, caracoleando y siguiendo los movimientos, una comparsa de muchachos, de negras y mulatas achuradoras, cuya fealdad trasuntaba las harpías de la fábula, y, entremezclados con ella, algunos enormes mastines olfateaban, gruñían o se daban de tarascones por la presa.[2]

Begriffe wie chiripá, rebullían, caracoleando oder tarascones verlangen einiges an Recherche und Kopftheater, um die lebendige und farbige Sprache Echeverrías ins Deutsche zu übersetzen. Chiripá ist das typische einfache Beinkleid der Gauchos, ein breiter Stoff- oder Fellstreifen ohne Naht, der über Kreuz zwischen den Beinen hindurch geschlungen und dann um die Hüfte gebunden wird. Und caracolear (sich tänzelnd bewegen) sowie die Worte rebullir (sich unruhig bewegen) und tarascones (Bisse) finden sich heute nur noch in wenigen Wörterbüchern. Ein Übersetzungsvorschlag hierzu sieht folgendermaßen aus:

Die bedeutendste Figur jeder Gruppe war der mit einem Messer bewaffnete Schlächter mit nackten Armen und entblößter Brust, das lange Haar verworren, Gesicht, Hemd und Chiripá blutverschmiert. Eine Gruppe von Burschen sowie schwarzen Frauen und Mulattinnen, deren Hässlichkeit den Harpyien aus der Sage glich, lief unruhig hinter ihm her und verfolgte tänzelnd seine Bewegungen. Unter die Menge mischten sich knurrend einige riesige Bulldoggen, die herumschnüffelten und sich um die Beute bissen.

Überhaupt sind zum Textverständnis zahlreiche Fußnoten nötig und ohnehin ist klar, dass ein Text wie Der Schlachthof nicht ohne einen erklärenden und in den Kontext einführenden Begleittext veröffentlicht werden kann. Der Leser muss etwa wissen, dass der Titel „muy católico Restaurador“ den Politiker Juan Manuel de Rosas bezeichnet, Vorsitzender der Partei der Föderalisten, der seit der Statthalterschaft der Provinz Buenos Aires die argentinische Politik zwischen 1829 und 1852 kontrollierte und der für die Restauration des alten Kolonialregimes plädierte. Der Autor Echeverría und die Partei der Unitarier vertraten hingegen das politische Gegenkonzept der Regeneration. Auch kommt der Übersetzer nicht umhin, dem Leser typische Foltermethoden der Mazorca, der politischen Polizei des Regimes unter Rosas, zu erklären. Der Name Mazorca entstand übrigens aus einer Kreuzung zwischen mazorca, dem Maiskolben, als Symbol und Folterinstrument verwendet, und más horca (mehr Galgen), einer sarkastischen Anspielung auf die Unterdrückung.

Folgender Dialog, der zwischen den Schlächtern kurz nach dem Ergreifen eines jungen Unitariers geführt wird, zeigt, welche Probleme bei der Übersetzung bestimmter Lexeme entstehen:

– Pícaro unitario. Es preciso tusarlo.
– Tiene buen pescuezo para el violín.
– Tocale el violín.
– Mejor es resbalosa.[3]

Dieses Gespräch ließe sich wie folgt übersetzen:

„Unitarierschurke. Man muss ihm die Mähne kürzen.“
„Sein Nacken ist gut für die Violine geeignet.“
„Spielt Violine auf ihm.“
„Die Resbalosa ist besser für ihn geeignet.“

Auch hier ist eine erklärende Fußnote nötig, die erläutert, dass Violine und Resbalosa – eigentlich ein Folklorestück – Foltermethoden waren, mit denen die Schergen der Mazorca die Gefolterten langsam und qualvoll enthaupteten. Bei der Violine wurde die Messerschneide langsam wie ein Violinbogen über den Hals geführt. Die Resbalosa wurde als Hintergrundmusik gespielt, während der gefesselte Gefangene langsam ausblutete, nachdem man ihm die Halsschlagader leicht eingeschnitten hatte.

Wie im Spanischen üblich, häufen sich auch in diesem Text die Gerundien. Es ist gängige Praxis bei der Übertragung ins Deutsche, die Gerundien in Nebensatzkonstruktionen umzuwandeln. In einigen Fällen scheint es jedoch sinnvoller zu sein, im Deutschen ebenfalls Partizipialkonstruktionen zu verwenden, um den Klang und die Fremdheit des Textes zu erhalten. „Continuaba, sin embargo, lloviendo a cántaros, y la inundación crecía acreditando el pronóstico de los predicadores.“ [4] Ein Übersetzungsvorschlag wäre hier: „Nichtsdestoweniger regnete es weiter in Strömen und die Überschwemmung wuchs an, die Voraussagen der Prediger bestätigend.“

Auch die sprechenden Eigen- oder Spitznamen der auftretenden Personen verweisen auf die interkulturelle Problematik. Namen wie Matasiete, Sietepelos oder Botija hätten übersetzt werden können. Da die vorliegenden Übersetzungsvorschläge sich jedoch eher an den Theorien Schleiermachers orientieren, wurde darauf verzichtet. Laut Schleiermacher solle man sich beim Lesen einer Übersetzung immer bewusst sein, dass der Ausgangstext einer anderen Sprache entstammt. Daher solle der Übersetzer

[…] seinem Leser ein solches Bild und einen solchen Genuss […] verschaffen, wie das Lesen des Werkes in der Ursprache dem so gebildeten Manne gewährt, den wir im besseren Sinne des Wortes den Liebhaber und Kenner zu nennen pflegen, dem die fremde Sprache geläufig ist, aber doch immer fremde bleibt.[5]

Bohnenkamp beispielsweise spricht in diesem Zusammenhang von einer „phänotypisch hybriden Übersetzung“. Damit sei die „Wahrnehmbarkeit ihrer heterogenen Herkunft“[6] gemeint, die sich in der Erkennbarkeit beider Sprachen in der Übersetzung zeigt.

Den Text kennzeichnet weiterhin eine starke Ambiguität, die hauptsächlich den Diskursen der damaligen Zeit geschuldet ist. Das 19. Jahrhundert war geprägt durch die Suche nach eigener nationaler Identität in der Phase der lateinamerikanischen Unabhängigkeitsbewegung. Der prototypische Vertreter dieser Freiheitsbewegung war der Gaucho, der zur zentralen Figur in der Literatur Argentiniens wurde: Gauchos sind argentinische Viehhirten, die ein wildes Leben in der Pampa führen. Es können sowohl Nachfahren argentinischer Ureinwohner sein, als auch Kreolen (also Nachfahren europäischer Einwanderer), wie natürlich auch Hervorkömmlinge aus verschiedenen Ethnien. So zeigt sich an dieser Figur in besonders markanter Weise, wie problematisch die Hinwendung zum ‚Nationalcharakter‘, wie es die europäische Romantik forderte, sich in einem Land gestaltet, das von den Kolonialmächten und deren europäischen Bräuchen so stark geprägt ist, dass man von den eigentlichen ‚Wurzeln‘ kaum sprechen kann.

Echeverría gilt als erster Romantiker in Argentinien. Er verbringt in den 1820er Jahren lange Zeit in Paris und führt die französische Literatur in die Literatursalons von Buenos Aires ein. Der Freiheits- und Gleichheitsgedanke der Romantik faszinierte ihn und in El Matadero greift er den Konflikt auf, in dem sich viele seiner Zeitgenossen in jener Zeit befanden: Civilicación o Barbarie, so lautet der Titel des Buches des argentinischen Präsidenten (1868 – 1874) Domingo Faustino Sarmiento, das 1845 erschienen ist.[7]

Als Hauptvertreter der beiden in Argentinien konkurrierenden Konzepte stehen in der Erzählung Matasiete, der das ursprünglich Wilde, Ungezügelte verkörpert, laut Domingo Faustino Sarmiento das Barbarische, sowie sein Gegenpol, der zivilisierte, gebildete Unitarier. Obwohl Echeverría offiziell Sympathisant des letzteren war, fällt vor allem bei den Dialogen auf, dass der romantische Held gegenüber dem argentinischen Schlächter nur eine hohle Pappfigur mit leeren Phrasen ist:

– Infames sayones, ¿qué intentan hacer de mi?
– Calma! – dijo sonriendo el juez –, no hay que encolerizarse. Ya lo verás.
El joven, en efecto, estaba fuera de sí de cólera. Todo su cuerpo parecía estar en convulsión. Su pálido y amoratado rostro, su voz, su labio trémulo, mostraban el movimiento convulsivo de su corazón, la agitación de sus nervios. Sus ojos de fuego parecían salirse de la órbita, su negro y lacio cabello se levantaba erizado. Su cuello desnudo y la pechera de su camisa dejaban entrever el latido violento de sus arterias y, la respiración anhelante de sus pulmones.
– ¿Tiemblas? – le dijo el juez.
– De rabia, porque no puedo sofocarte entre mis brazos.
– ¿Tendrías fuerzas y valor para eso?
– Tengo de sobra voluntad y coraje para tí, infame. [8]

Der Part des jungen Unitariers scheint einem spanischen Ehrendrama entnommen zu sein und belegt einmal mehr, dass Echeverría noch in den europäischen Traditionen verwurzelt war. Die Verfolgung des europäischen Ideals kann hier jedoch immer nur Kopie sein, aber nie das ‚Eigene‘ ausdrücken. Matasiete hingegen, wie der Name schon sagt, wird als unerschrockener Kämpfer dargestellt, der auch in lebensbedrohlichen Situationen nicht klein beigibt.

Neben der im Text offen ausgesprochenen Kritik am Rosas-Regime (weshalb die Erzählung auch erst 40 Jahre nach ihrer Entstehung veröffentlicht wurde), ist El Matadero Hauptaustragungsplatz für den damals herrschenden Diskurs über Konzepte von Nation und Identität bis hin zu verschiedenen Entwürfen von Männlichkeit, wobei der Text selbst nicht eindeutig Stellung bezieht. Vor allem das Ende von El Matadero lässt mehrere Deutungen zu und beschäftigt die Literaturwissenschaft immer wieder. Steht der Tod des Unitariers nach der versuchten Vergewaltigung durch die Föderalisten für das Ende des europäischen Einflusses und das Ende des feminisierten Mannes? Oder entzieht sich der Unitarier der entwürdigenden Folterung und erhält sich seine Integrität, indem er wie Jesus gekreuzigt auf einem Tisch als Sündenbock stirbt? Die Szene kann ebenso als politische Allegorie verstanden werden, in der die an dem Unitarier verübte Grausamkeit als Sinnbild für die Schändung der argentinischen Nation durch Rosas steht.

Eben diese Vielfältigkeit und damalige Aktualität machen El Matadero zu einem der Gründungstexte Argentiniens und Echeverría zum Initiator der modernen Literatur in seinem Land. Echeverría wollte, dass Argentinien ein starker Nationalstaat wird, auch wenn er sich bewusst war, dass die Einflüsse Europas vielleicht nie ganz abgeschüttelt werden können. So schrieb er 1846 in einem seiner wichtigsten politischen Werke El dogma socialista: „El gran pensamiento de la revolución no se ha realizado. Somos independientes pero no libres. Los brazos de España no nos oprimen, pero sus tradiciones nos abruman. De las extrañas de la anarquía nació la contrarevolución.“[9]

Esteban Echeverría wurde 1805 als Sohn eines Basken und einer Argentinierin in Buenos Aires geboren. Die Jahre von 1826 bis 1829 verbrachte er in Paris und London und kam dort mit der europäischen Romantik in Berührung, die er später nach Buenos Aires brachte. Als überzeugter Unitarier stand er der Regierung Juan Manuel de Rosas kritisch gegenüber und war Mitglied in mehreren politischen und literarischen Vereinigungen (Joven Generación Argentina, Asociación de Mayo). Er forderte neben der schon erreichten politischen Unabhängigkeit von Spanien auch die soziale Unabhängigkeit und die Abwendung vom traditionellen, rückwärtsgewandten Denken. Er starb 1851 im Exil in Montevideo.

Claudia Ballhause studierte Komparatistik an der LMU München und arbeitet als Literaturübersetzerin. Sie lebt heute in Córdoba, Argentinien.

[1] Die vorliegenden Übersetzungsvorschläge des Matadero-Textes entstammen der bisher unveröffentlichten Komparatistik-Abschlussarbeit der Verfasserin mit dem Titel: „Formen und Funktionen des Fremden in El Matadero von Echeverría und Lalla Rookh von Thomas Moore“.

[2] Echeverría, Esteban: El Matadero / La Cautiva, Madrid: Cátedra 1999, S. 100 (meine Hervorhebung).

[3] Echeverría, Esteban: El Matadero / La Cautiva, Madrid: Cátedra 1999, S. 111.

[4] Echeverría, Esteban: El Matadero / La Cautiva, Madrid: Cátedra 1999, S. 93.

[5] Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: „Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersetzens“, in: ders. Akademievorträge, hg. v. Hermann Fischer u.a., Berlin u. New York: Walter de Gruyter 2002 (= Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: Kritische Gesamtausgabe, Bd. 11), S. 67-93.

[6] Bohnenkamp, Anne: „,Hybrid‘ statt ,verfremdend‘? Überlegungen zu einem Topos der Übersetzungstheorie“, in: Linguistik in der Übersetzungswissenschaft, hg. v. Peter Colliander u.a., Tübingen: Groos 2003, S. 9-26.

[7] Sarmiento, Domingo Faustino: Facundo. Civilización y barbarie, (1845/51), hg. v. R. Yahni, Madrid: Cátedra 2003.

[8] „Niederträchtige Henker, was habt ihr mit mir vor?“
„Nur ruhig“, sagte der Richter lächelnd, „man muss sich nicht aufregen. Du wirst es schon sehen.“
Der Jüngling war wirklich außer sich vor Wut. Sein ganzer Körper schien ein einziger Krampf zu sein. Sein totenbleiches Gesicht, seine Stimme und seine bebenden Lippen zeigten das krampfhafte Schlagen seines Herzens und die Erregung seiner Nerven. Seine feurigen Augen schienen aus den Höhlen zu treten, sein schwarzes, glattes Haar sträubte sich. Sein entblößter Hals und seine Hemdbrust ließen das heftige Pulsieren seiner Arterien und das keuchende Atmen seiner Lungen erahnen.
„Du zitterst?“, fragte der Richter.
„Vor Wut, weil ich dich nicht mit meinen Armen ersticken kann.“
„Hättest du denn die Kraft und den Mut dazu?“
„Wille und Mut habe ich für Dich im Überfluss, du Niederträchtiger.“

Echeverría, Esteban: El Matadero / La Cautiva, Madrid: Cátedra 1999, S. 111.

[9] „Der große Revolutionsgedanke hat sich nicht verwirklicht. Wir sind unabhängig, aber nicht frei. Spaniens Arme erdrücken uns zwar nicht, aber seine Traditionen belasten uns. Aus der fremden Anarchie entstand die Konterrevolution.“